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italienische
Architektur.
Materials fromme Empfindungen erweckten. Dazu kam, dass Rom
bei seiner zunehmenden Entvölkerung nicht neuer Stiftungen,
sondern nur der Herstellung älterer bedurfte, denen man denn
auch gern den Ausdruck ihres ehrwürdigen Alters liess. Ein
Antrieb zur Bildung eines neuen Styls War daher überall nicht,
auch in den politischen Verhältnissen nicht vorhanden, da die
ewige Stadt sich fortwährend zwischen anarchischen Zuständen
und Träumen von ihrer einstigen Grösse bewegte. Auch da, wo
es zu einem völligen Neubau der verfallenden alten Kirchen kam,
wurden sie daher fortwährend nach dem bisherigen Systeme mit
mannigfach verschiedenen Säulen und Kapitälen, kahlen Wänden,
rundbogigen Oberlichtern und offenem Dachstuhle, meist aber auch
mit dem ernsten Schmuck eines grossen Mosaikbildes in der Tri-
bune errichtet. S. Clemente i), mit der noch ganz erhaltenen in-
nern Einrichtung, S. Crisogono und S. Maria in Trastevere,
S. Maria in Araceli sind Beispiele dieser Art aus dem XII. Jahr-
hundert, und das angebaute Langhans von S. Lorenzo fuori le
mura gehört sogar schon dem XIII. an. Nur in feinen Zügen be-
merkt man die Verschiedenheit dieser Basiliken von den frühem.
Die Verhältnisse der mittlern Höhe und Breite sind geringer, die
Fenster weiter, im Gegensatz gegen die ruhige und naive Haltung
der ältern Basiliken, wo man eher in Leere, als in Ueberfiillung
fiel, macht sich jetzt eine Neigung für schwere, gedrängte, derbere
Zusammenstellungen und Formen geltend. Das individuelle Ge-v
fühl der Künstler tritt stärker und verschiedenartiger hervor, und
zeigt sich bald in einer bunteren, mit Bewusstsein gewählten
Mannigfaltigkeit, bald in einem stärkeren Anlehnen an antike
Form, das aber niemals consequent durchgeführt wird. Bedeu-
tende und günstige Beispiele dieses spätem römischen Styls sind
die genannten beiden Kirchen von Trastevere, S. Maria und
S. Crisogono, beide bald nach 1139 begonnen und im Laufe
des XII. Jahrhunderts vollendet Besonders characteristisch ist
i") Dass S. Clemente wirklich aus dem XII. Jahrh. stammt, unterliegt nach
der Entdeckung (1857) der darunter erhaltenen älteren Kirche keinem Zweifel.
Vgl. übrigens über diese und die andern im Texte genannten Kirchen die
Beschreibung Roms, Band III.
M") S. Maria wurde zwar erst unter Innocenz III. (1198-1216) geweiht,
aber in dem Mosaikbilde der Tribüne erscheint Innocenz II. als der Stifter