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Italienische
Architektur.
erbaut wurdeä). Das Nonplusultra phantastisch-reichen Schmucks
ist dann endlich die Faeade der Stadtkirche (Pieve) zu Arezzo,
welche um 1216 vollendet wurdeää). An dem Pisaner Dome und
andern ältern Kirchen dieses Styls ist die Zahl der Arcaden in
allen obern Gallerien gleich und zwar die doppelte der grossen
blinden Arcaden des Untergeschosses, so dass also bei ihnen
Säule auf Säule steht. Hier dagegen hat jede der drei Zwerg-
gallerien andre, immer abnehmende Dimensionen und eine schein-
bar regellos zunehmende Zahl der Arcaden. Bei näherer Be-
trachtung findet man freilich eine Regel, aber eine sehr sonderbare;
der Baumeister hat nämlich nicht, wie gewöhnlich und mit Recht
geschieht, die Zahl der Arcaden, sondern die der Säulen in's Auge
gefasst, Welche natürlich immer um Eins grösser ist als jene. Das
Untergeschoss hat fünf Arcaden und folglich 6 Säulen, in der
ersten Gallerie ist die Säulenzahl 12, in der zweiten 24, in der
dritten endlich, da eine weitere Verdoppelung nun doch zu stark
gewesen wäre, 32, und mit diesem vierten Stockwerk, also ohne
Giebel, schliesst dann das Gebäude. Der Baumeister hat also nicht
aus Nachlässigkeit, sondern durch Künstelei gesündigt; er hat das
bisherige System verbessern wollen und dabei, entweder weil er
nicht fühlte, worauf es ankam, oder aus Widerspruchsgeist gegen
seine Vorgänger, statt der Arcaden die Säulen verdoppelt, wo-
durch denn die ganz unklare Steigerung der Arcaden von 5 auf
11 , 23, 31, und die Folge hervorgebracht ist, dass jede Säule auf
a) Auf dem Spruchbande einer Figur an einer Säule in der Nähe des
Oampanile:
Condidil; electi tam pulchras dextra Guidecti. MCCIV.
Da man zu pulchras wohl nichts andres als columnas suppliren kann, so
wird characteristischer Weise der Baumeister gar nicht als solcher, sondern
nur als Plastiker gerühmt.
"Ü Vasari (im Leben des Arnolfo, I. 244), 'der dieses Jahr als das der
Erbauung und seinen Landsmann Marchionne, dem er auch eine Reihe von
Bauten in Rom zuschreibt, als den Baumeister nennt, wird dafür zwar keinen
andern Beweis" gehabt haben, als eine noch jetzt vorhandene Inschrift, die sich
an den Portals culpturen befindet und nur von diesen spricht: A. D. MCCXVI.
mense Madii. Marchion sculpsit, (presbyter) Matheus munera fulsit. Indessen
wird diese Sculptur ohne Zweifel während oder gleich nach der Erbauung der
Facade ausgeführt und also die J ahrszahl auch für das Architektonische maass-
gebend sein.