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Italienische
Architektur.
auch nicht eine absichtliche Abenteuerlichkeit, so liess man sich
doch die wunderliche und drohende Erscheinung gefallen.
Während der ganzen Dauer des XII. Jahrhunderts war der
Pisaner Dom für alle Kirchbauten Toscanais maassgebend, freilich
überall mit Beschränkungen. Die Kuppel und die Kreuzarme
blieben fast immer fort, man begnügte sich mit der einfachen Ba-
silikenanlage, schmückte aber die Wände im Innern und Aeussern
oder wenigstens Facade und Chemische wie dort mit Arcaden
und Gallerien, die man indessen zuweilen aus Sparsamkeit auch
in den obern Stockwerken nur blind anlegte. Kirchen dieser Art
sind unter andern in Pisa selbst S. Frediano, S. Andrea, S. Pierino;
in Lucca S. Giovanni, S. Maria foris portam, S. Frediano und die
von 1203 datirte Faeade von S. Pietro Somaldi; in Pistoja S. An-
drea, S. Giovanni fuor civitas mit der datirten Facade von 1166
und der Dom, dessen Facade wahrscheinlich nach einem Brande
von 1202 errichtet ist endlich auch die Kathedrale in Massa.
Indessen war diese Nachahmung nicht sclavisch, sondern in jeder
dieser andern Städte mit gewissen Eigenthümlichkeiten. In Pistoja
liebte man freiere, leichtere Verhältnisse und Weniger gedrängten
Schmuck, in Lucca einen Anklang antiker Strenge, so dass an
S. Frediano und an S. Maria foris portam, hier nur an der Chor-
nische, dort auch an der Facade die Säulenreihen statt der Bögen
grades Gebälk tragen.
Auch im Anfange des XIII. Jahrhunderts erhält sich im
Ganzen dieselbe Weise, nur dass die Lust am Kräftigen und an
plastischen Gebilden immer mehr von der Anmuth und der maass-
vollen Würde des früheren toscanischen Styls ableitete. Das
früheste Beispiel solcher Neuerungen giebt die Fagade von
S. Michele zu Lucca, welche Kirche als Versammlungsort des
städtischen Senates besonders reich geschmückt wurde. Hier
sind zunächst die Säulen des Untergeschosses höher, stärker
heraustretend und dabei durch starke Verjüngung noch höher er-
scheinend, dann die Schäfte in den beiden ebenfalls ziemlich hoch
Ü Vasari lässt zwar den Nicolö Pisano im Jahre 1240 „die Zeichnung"
des Domes geben (ed. n. I. 264); allein die Localschriftsteller (Tolomei, Guida
pag. U] schreiben ihm aus guten Gründen nur die Wölbung zu, während die
Faqade älter erscheint.