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Weltleben.
das deutsche Lied will gesungen sein. Es hat etwas Geheim-
nissvolles, einen Gefühlszusammenhang mit der Mystik, aber in
anspruchslosester Heiterkeit. Wie wichtig das Volkslied selbst
den Zeitgenossen erschien, sehen wir daran , dass Städtechro-
niken, wie die von Limbmg, gern neben den ernsten Begeben-
heiten des Jahres auch das Lied aufzeichnen, das damals beson-
ders beliebt war.
Die Melodien dieser Volkslieder sind uns nicht überliefert
und überhaupt ist die Geschichte der Musik, Wenn es überhaupt
dahin kommen soll, für jetzt noch nicht so weit gediehen, um die
wichtigen, von ihr zu erwartenden Aufklärungen über ihre Be-
ziehungen zu den Wandlungen der bildenden Künste und über-
haupt zur Culturgeschichte zu gewähren. Indessen steht doch
soviel fest, dass auch auf diesem Gebiete das vierzehnte Jahr-
hundert von hervorragender Bedeutung ist und als der Abschluss
einer ersten und der Beginn einer zweiten Epoche der christlichen
Musik angesehen werden kann k). So flüchtig der Ton an sich
und so sehr er der Ausdruck subjectiver Empfindung ist, so
langsam und mit so objectiver Nothwendigkeit fortschreitend ist
die Entwickelung der Tonkunst. Die Griechen besasseil be-
kanntlich nur eine beschränkte Zahl von Tonarten oder Ton-
folgen, welche verschiedenartig organisirt, jede schon einen be-
stimmten ethischen Charakter hatten, der allen einzelnen in
dieser 'l'onart geschaffenen Melodien blieb, und deren scharfe
Begränzung und Ungleichartigkeit Uebergänge aus einer Tonart
in die andere nicht wohl und Harmonien gleichzeitig erklin-
gender Töne nur in geringem Umfange gestattete. Wir dagegen
kennen nur ein gleichmässig durchbildetes, von den tiefsten bis
zu den höchsten Tönen in gleicher Folge der Intervallen fortlau-
fendes Tonsystem, mit nur zwei, in bestimmtem Verhältnisse
stehenden Tonarten , Dur und Moll, welche sich auf allen Ton-
stufen wiederholen. Wir haben dadurch die Möglichkeit unend-
licher Uebergänge und der reichsten und complicirtesten Har-
. "Ü Vergl. über alles Folgende die bekannten grössererl Werke von Kiese-
Wetter und zum Theil von Winterfeld, und zur leichteren Uebersicht die Vor-
lesungen über die Geschichte der Musik in Italien, Deutschland und Frank-
reich von Franz Brendel, 2. AutL, 1859.