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Weltleben.
welche in unsern Tagen auch das geduldigste Auditorium in Ver-
zweiflung setzen würde, die aber damals Bewunderung erregte.
Die Allegorie enthält die Elemente der bildenden Kunst, Bild
und Gedanke, aber in einer eigenthümlichen Verbindung; sie hat
für uns, die Neueren, wenig Reiz, weil wir an wirkliches orga-
nisches Leben gewöhnt, den allegorischen Figuren unwillkürlich
die geliehene Körperlichkeit abstreifen und die nackten Begriffe
übrig behalten, die uns ohne solche Verkleidung lieber gewesen
wären. Es ist daher für unser V erständniss der damaligen Kunst
wichtig, die fast leidenschaftliche Vorliebe für die allegorische
Form, Welche in dieser Epoche ihre Höhe erreichte und sich,
wenn auch abnehmend und traditionell, Jahrhunderte lang erhielt,
näher zu betrachten und ihren Ursachen nachzuforschen. Eine
solche Vorliebe deutet allemal auf einen Zustand der Erkenntniss,
wo ihr Begriffe und Anschauungen nicht auf einem Wege, son-
dern von zwei getrennten Seiten her zukommen und einer nach-
träglichen Verbindung bedürfen. Daher finden wir sie zum ersten
Male in der Zeitdes Ueberganges vom klassischen Heidenthume
zum Christenthume, indem man den hergebrachten, aus der heid-
nischen Naturauifassung stammenden Vorstellungen christliche
Gedanken unterlegte. Im eigentlichen Mittelalter erhielt die Alle-
gorie sich zwar, aber doch nur als eine harmlose Spielerei der
Gelehrten in ihren lateinischen Gedichten, ohne grosse populäre
"Wirkung. Jetzt trat eine zwiefache Aenderung ein. Die scho-
lastischen Begriffe, welche in ihrer festen Ausprägung schon an
und für sich wie geistige Einzelwesen erschienen und sich leicht
zu Personiiicationen gestalteten, kamen nun an Laien, welche sie
zwar mit Begierde aufnahmen, aber unfähig waren, sie ohne
sinnliche Anschauung festzuhalten. Die Allegorie wurde daher
ein Mittel leichter, spielender, gesellschaftlicher Belehrung. Dazu
kam aber ein zweiter, wichtigerer Umstand, nämlich das verän-
derte Verhältniss zur Natur. Dass die Allegorie im früheren
Mittelalter, ungeachtet der scholastischen Denkweise, nicht grös-
seres Glück gemacht hatte, lag hauptsächlich an dem mangelnden
Interesse für die Natur in ihren Details; man betrachtete sie als
ein symbolisches Spiegelbild geistiger Ideen, als etwas Gege-
benes , aber weiterer Durchdringung nicht Bedürfendes, mit