Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Die Spätzeit des Mittelalters bis zur Blüthe der Eyck'schen Schule (Bd. 6 = [2], Bd. 4)

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Weltleben. 
feiner, mehr im Style neuester Courtoisie gefärbt, bis man den 
Reiz des alten Epos völlig ertödtet und die VVeitschweifigkeit 
und Gesehmacklosigkeit scholastischer Prosa überboten hatte. 
Neben diesen Wiederholungen kam aber auch eine neue 
Gattung auf, der allegorische Roman. Das erste und be- 
rühmteste Werk dieser Art, der Roman von der Rose, war 
zwar schon im dreizehnten Jahrhundert durch Wilhelm von 
Lorris angefangen, erlangte aber erst im vierzehnten nach seiner 
Vollendung durch Wilhelm von Meun in und ausserhalb F rank- 
reichs ein noch lange wachsendes Ansehen. Seine Verehrer 
glaubten alle Geheimnisse herauszudeuten, strenge Moralisten 
aber dagegen predigen zu müssen. Der Inhalt des weit ausge- 
sponnenen Werkes lässt sich mit wenigen Worten zusammen- 
fassen; es ist die abstraete Darstellung einer Liebesgeschichte. 
Die Geliebte selbst tritt gar nicht handelnd auf, sie ist die Rose, 
der passive Gegenstand der Liebe. Dame Oiseuse öffnet den 
Garten der Liebe, Amor verwundet den Liebenden, Bel-aecueil 
führt ihn ein, aber Male-bouche und Dangier, Felonie und 
und Bassesse, Haine und Avarice treten ihm in den Weg. 
Indessen steht Raison ihm. zur Seite, und es gelingt ihm, das 
Kastell, in welchem die Rose sich betindet, zu stürmen. Dies die 
ganze Erzählung, Welche dann mit Anekdoten oft sehr schlüpf- 
rigen Inhalts und wieder mit pedantischen Auseinandersetzungen, 
zum Theil über die tiefsten Gegenstände, z. B. über die Dreifaltig- 
keit, gewürzt und ausgestattet ist. Der grosse Erfolg dieser, uns 
so Wenig zusagenden Arbeit erklärt sich aus dem Zustande der 
Gesellschaft, für die sie berechnet war. Zu sehr mit sich, mit der 
Rolle edler Ritterlichkeit, die sie durchführen sollte, beschäftigt, 
um sich harmlos dem freien Spiele der Phantasie hinzugeben, zu 
wenig in Verstandesbildung vorgeschritten, um von den Gestalten 
wirklicher Dichtung die Tugenden, die man besitzen, die Fehler, 
die man vermeiden wollte, mit Leichtigkeit zu abstrahiren, war 
eine Gattung, welche diese Arbeit erleichterte, indem sie die Be- 
griffe, auf die es ankam, nicht bloss gradezu aussprach, sondern 
in sinnlicher, dem Gedächtniss sich leicht einprägender Gestalt 
verführte, grade das was sie brauchten. 
Der deutsche Adel war zwar zu derb und einfach, um an
	        
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