Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Die Spätzeit des Mittelalters bis zur Blüthe der Eyck'schen Schule (Bd. 6 = [2], Bd. 4)

Drittes 
Kapitel. 
Weltleben. 
von der stillen Innerlichkeit des religiösen Gefühls zu dem 
geräuschvollen Treiben auf dem Markte des Lebens mag uns die 
Poesie den Uebergang vermitteln, da sie mit beiden in Ver- 
bindung steht; um so eher, als die Mystiker, welche man Wohl 
die Minnesänger der Prosa genannt hat, in ihrer Begeisterung 
und Liebeswärme, im phantastischen Schwunge und in der Un- 
mittelbarkeit ihres Ausdrucks in der That schon ein poetisches 
Element in sich tragen. 
Die Blüthezeit der Dichtkunst war jetzt vorüber, sie löste sich 
in ihre Elemente auf. Der Geist Wahrer Poesie ging auf die na- 
menlosen Yierfasser der Volkslieder über, den Söhnen der ritter- 
lichen Sänger der vorigen Epoche blieb nur das Aeusserliche, der 
Vers, der stoffliche Apparat. Die Dichtung gedeiht nur in jugend- 
lichen Zuständen, sie setzt ein Geheimniss voraus, das jeder ahnet 
und keiner auszusprechen weiss, das nur der Dichter anzudeuten 
wagt. Die jetzige ritterliche Welt suchte nicht mehr, sie glaubte 
zu besitzen und wollte in ererbtem Schmucke prunken. Herren 
und Damen spielten im Leben Poesie und Wollten in der Dichtung 
nur sich selbst Wiederfinden. Die ältern Dichter-werke, die V or- 
bilder dieser ritterlichen Sitte, standen zwar noch in herge- 
brachtem Ansehen, aber für das eigentlich Poetische, für den 
Hauch der Begeisterung hatte man keinen Sinn mehr, sondern 
suchte in ihnen nur anwendbaren Stoff oder stärker reizende 
Motive. In diesem Sinne Wurden sie dann vorgetragen und ver- 
bessert, die Episoden der verschiedenen Bearbeitungen wurden 
gesammelt und zusammengedrängt, das Wunderbare noch Wun- 
derbarer, das Bedeutungsvolle noch verheissetxdcr, das Zarte noch
	        
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