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Religiöse
Zustände.
tive und Schicksale in der That durch die Vergleichung mit den
mystisch-religiösen Regungen eine unerwartete Klarheit er-
langen. Ich kann noch nicht auf das Einzelne eingehen , soweit
dies überhaupt möglich sein wird, aber einige allgemeine Be-
merkungen sind hier an ihrer Stelle. Die Kunst, welcher diese
Aufschlüsse zu Gute kommen, ist allerdings nicht die Archi-
tektur, für welche die Mystiker, wie wir durch die oben ange-
führte Aeusserung des Nicolaus von Basel erfahren haben,
keinen Sinn hatten und die ihnen nur als eitle Pracht erschien.
Aber schon dass sie in dieser Epoche nur durch den Anstoss
bewegt wird, den ihr die vorige gegeben hat, und nicht mehr
aus eigener, frischer Kraft fortschreitet, ist eine Folge des ver-
änderten religiösen Geistes, der, auf innere, individuelle Empfin-
dungen gerichtet, an jener Gestaltung des allgemeinen kirch-
liehen Lebens nur noch ein bedingtes Interesse hat. Dagegen
werden die Künste des individuellen Gefühls, die Plastik und
noch mehr die Malerei, augenscheinlich von der mystiscl1-reli-
giösen Bewegung gefördert und getragen. Dies zeigt sich schon
in ihren äusseren Schicksalen; dass diese Künste unter allen
nordischen Ländern vorzugsweise in Deutschland einen bedeut-
samen Aufschwung nahmen, dass sie hier im Rheinthale, in
welchem die Gottesfreunde vom Ober- und Niederlande ver-
kehrten, und namentlich in Köln, wo Meister Eckhardt gepre-
digt, das Tauler besucht hatte, ihren Hauptsitz hatten, ist eben
kein Zufall. Und wenn wir die Leistungen dieser Schule mit
den Bildern vergleichen, die Suso sich verschafft und jedem
Gottesfreunde wünscht, oder von denen Nicolaus träumt, und
noch mehr mit den Bildern, die ihrer Phantasie vorschwebten,
wenn sie von dem seligen Eiltwerden, von der Flucht aus den
Sinnen und Kräften sprachen, kann uns die Verwandtschaft
nicht entgehen, und lernen wir durch diese Beziehung die Ab-
sichten der Künstler besser verstehen und würdigen. Freilich
konnten sie den Gottesfreunden nicht bis in die höchste Ab-
straction ihrer Gedanken und Verzückungen folgen, aber soweit
als möglich gingen sie ihnen nach; ihre Gestalten sind Erzeug-
nisse der kühnsten und idealsten Empfindung, mehr des Gefühls
und der Phantasie, als der gemeinen Erfahrung, mit einem Aus-