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Religiöse
Zustände.
benden, gab sein väterliches Gut an. die Armen, und trat als
Bussprediger auf, bis ihm dies durch die Eifersucht der Mönche
untersagt wurde. Er hatte Ruysbroek in Groenendal besucht
und war von der edlen Persönlichkeit des frommen Greises so
ergriffen, dass er, wie er sich einmal ausdrückt, nur wünschte,
sein Fussschernel in diesem und in jenem Leben zu sein. Aber
seine Richtung war doch eine schlichtere, mehr bürgerliche. Er
lebte zwar in asketischer Strenge, aber er schwelgte nicht in
Pönitenzen; er war bei den heiligen Handlungen höchst er-
griffen, aber er fiel nicht in Verzückung, sondern nur in ein
sanftes Sinnen, oder verströmte die Freude in jubelnden Ge-
sängen. Der Contemplation sich zu ergeben liebte er nicht, statt
dessen begann er damit, sich eine Lebensordnung in kurzen Sä-
tzen aufzuschreiben, aber nur als Beschlüsse und Vorsätze, nicht
als Gelübde, wie er ausdrücklich bemerkt. Nach geheimniss-
voller Einigung mit Gott strebt er nicht, er wciss vielmehr, wie
er ein Mal sagt, dass der Mensch der Vollkommenheit desto
näher sei, je mehr er sich fern von ihr wisse. Seine Mystik ist
geradezu nur Demuth, Selbstentsagung und besonders prak-
tische, aufopfernde Liebe. So kommt es, dass er den Gedanken
eines gemeinsamen, andächtigen Lebens ohne Klostergelübde,
wie es den Beguinenhäusern und auch jenem Hause des Nico-
laus von Basel zum Grunde lag, wieder aufnahm, aber mit viel
bedeutenderem Erfolge. In der doppelten Absicht, junge Schüler
geistig und äusserlich zu unterstützen und gute Bücher zu ver-
mehren, gründete er nämlich mit seinem etwas jüngeren Freunde
Florentius Radwynzoon die Fraterhäirser, in denen solche
jungen Leute vom Ertrage dieser Schreiberarbeit, um sich zu
Schülern Christi, zu Priestern oder sonst für christliche Zwecke
heranzubilden, unter Leitung eines Oberen gemeinsam lebten.
Sie nannten sich Devoti, trugen, schon weil die Kleidung aus
gemeinschaftlicher Kasse bezahlt wurde, gleiche Tracht, aber
nicht mönchische, sondern schlichte graue Röcke und weltliche
Kopfbedeckung. Unausgesetzte Thätigkeit, strenger Gehorsam,
Uebung in der Selbstprüfung durch Aufzeichnung innerer Er-
fahrungen, gegenseitiges Siindenbekenntniss waren Regeln die-
ser Häuser, die also halb Kloster, halb Familienleben waren;