Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Die Spätzeit des Mittelalters bis zur Blüthe der Eyck'schen Schule (Bd. 6 = [2], Bd. 4)

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Religiöse 
Zustände. 
benden, gab sein väterliches Gut an. die Armen, und trat als 
Bussprediger auf, bis ihm dies durch die Eifersucht der Mönche 
untersagt wurde. Er hatte Ruysbroek in Groenendal besucht 
und war von der edlen Persönlichkeit des frommen Greises so 
ergriffen, dass er, wie er sich einmal ausdrückt, nur wünschte, 
sein Fussschernel in diesem und in jenem Leben zu sein. Aber 
seine Richtung war doch eine schlichtere, mehr bürgerliche. Er 
lebte zwar in asketischer Strenge, aber er schwelgte nicht in 
Pönitenzen; er war bei den heiligen Handlungen höchst er- 
griffen, aber er fiel nicht in Verzückung, sondern nur in ein 
sanftes Sinnen, oder verströmte die Freude in jubelnden Ge- 
sängen. Der Contemplation sich zu ergeben liebte er nicht, statt 
dessen begann er damit, sich eine Lebensordnung in kurzen Sä- 
tzen aufzuschreiben, aber nur als Beschlüsse und Vorsätze, nicht 
als Gelübde, wie er ausdrücklich bemerkt. Nach geheimniss- 
voller Einigung mit Gott strebt er nicht, er wciss vielmehr, wie 
er ein Mal sagt, dass der Mensch der Vollkommenheit desto 
näher sei, je mehr er sich fern von ihr wisse. Seine Mystik ist 
geradezu nur Demuth, Selbstentsagung und besonders prak- 
tische, aufopfernde Liebe. So kommt es, dass er den Gedanken 
eines gemeinsamen, andächtigen Lebens ohne Klostergelübde, 
wie es den Beguinenhäusern und auch jenem Hause des Nico- 
laus von Basel zum Grunde lag, wieder aufnahm, aber mit viel 
bedeutenderem Erfolge. In der doppelten Absicht, junge Schüler 
geistig und äusserlich zu unterstützen und gute Bücher zu ver- 
mehren, gründete er nämlich mit seinem etwas jüngeren Freunde 
Florentius Radwynzoon die Fraterhäirser, in denen solche 
jungen Leute vom Ertrage dieser Schreiberarbeit, um sich zu 
Schülern Christi, zu Priestern oder sonst für christliche Zwecke 
heranzubilden, unter Leitung eines Oberen gemeinsam lebten. 
Sie nannten sich Devoti, trugen, schon weil die Kleidung aus 
gemeinschaftlicher Kasse bezahlt wurde, gleiche Tracht, aber 
nicht mönchische, sondern schlichte graue Röcke und weltliche 
Kopfbedeckung. Unausgesetzte Thätigkeit, strenger Gehorsam, 
Uebung in der Selbstprüfung durch Aufzeichnung innerer Er- 
fahrungen, gegenseitiges Siindenbekenntniss waren Regeln die- 
ser Häuser, die also halb Kloster, halb Familienleben waren;
	        
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