Schlussbemerkung.
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des Sinnes für die freieren Linien des individuellen Lebens
voraus. Fragen wir aber nach der Ursache dieser der Kunst
ungünstigen Richtung, so geben uns, glaube ich, die schon an-
geführten Thatsachen genügende Antwort; sie lag in der Ge-
schichte und in der durch diese bedingten Aufgabe der englischen
Nation. Sie war nicht wie die deutsche aus einem Stamm, nicht
wie die romanischen Völker durch völlige Vermischung zweier
Volksstämme erwachsen, sondern erst jetzt in einer Zeit reiferen
Bewusstseins gewissermassen durch ein Compromiss gebildet.
Der Gegensatz von Sachsen und Normannen war nicht völlig
verschwunden, sondern nur als Verschiedenheit der Stände und
durch gegenseitige Achtung der Rechte geregelt und gemildert,
und die relative Einung beider Stände beruhete auf dem stärkeren
Gefühle des gemeinsamen Gegensatzes gegendas Ausland, der
jetzt eben sich kräftig geltend machte. Die neue Nation lebte
daher in Verhältnissen, Welche eine nüchterne Beachtung der
XVirklichkeit, die Achtung fremder Rechte, aber auch die YVahr-
nehmung des eignen V orlheils forderten und zur Pflicht machten;
sie durfte die Gegensätze nicht vermischen, sich nicht idealen
'l'räumen hingeben, sondern War auf rechtliche Schärfe und
politische und merkantilische Klugheit angewiesen. Dies war
ihre Aufgabe, Welche immer mehr zur Neigung und Gewohnheit
wurde und der alles andre nachstellen musste. Daher das Vor-
herrschen aristokratischer Gesinnung, die an Härte gränzende
Strenge, die vorsichtige, abgemessene Haltung bis zum Scheine
steifer Kälte, das Wohlgefallen an äusseren Zeichen des Ranges,
an conventionellen, leicht zur Caricatur gesteigerten Sitten, an der
Ueberladung des Costüms, und endlich die Neigung, diese For-
men für wichtiger zu halten als Natur und Schönheit und sie
rücksichtslos in die Kunst zu übertragen. Daher dann ferner das
Vorherrschen des historischen Elementes über das religiöse, und
eines gewissen, mehr bürgerlichen als natürlichen Realismus
über ideale Motive, und endlich die Wüfdlgflng der Kunst als
eines Gegenstandes nicht sowohl der Thätigkeit, als des Besitzes,
und die Neigung sie vom Auslande als eirie fernhergeholte und
deshalb kostbare Waare, zu lkallfvtßn- zllnafihst berührten diese
ungünstigen Umstände mehr die Gouner der Kunst als die Künst-
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