Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Die Spätzeit des Mittelalters bis zur Blüthe der Eyck'schen Schule (Bd. 6 = [2], Bd. 4)

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Die 
deutschen 
Mystiker. 
schen Theologie zugekommen; man hätte sie allenfalls auch 
ohne Bezugnahme auf specielle Stellen der Schrift vortragen 
können. Wenn sie daher ihre Sätze dennoch mit den einzelnen 
Ereignissen der heiligen Geschichte in Verbindung brachten , so. 
hatte dies keine innere Nothweildigkeit, es war nicht eine sym- 
bolische Deutung der Schrift, sondern eine allegorische, mehr 
oder weniger willkürliche Beziehung, bedingt theils durch das 
kirchliche Herkommen, über biblische Texte zu predigen , theils 
durch das Bedürfniss, ihre abstraeten Begriffe durch entspre- 
chende Bilder verständlich zu machen. Auch diese Bilder waren 
keineswegs immer aus der Schrift genommen; weder die histo- 
rischen Erzählungen noch die Gleichnissreden genügten den ge- 
heimnissvollen Hergängen des Seelenlebens, welche sie schildern 
wollten. Viel geeigneter Waren dazu gewisse Erscheinungen 
der Natur, die Phänomene des Lichtes, der Optik, der VVärme, 
der Schwere, mit einem Worte des allgemeinen Naturlebens , in 
denen die Herrschaft fester, wunderbarer Gesetze offen zu Tage 
liegt. Zu allen Zeiten haben diese Erscheinungen als Erläute- 
rung des geistigen Lebens gedient, und in der christlichen My- 
stik kommen sie frühe vor. Die Kirchenväter und St. Bernhard 
bedienen sich ihrer, bei Dante sind sie überaus häufig, und fast 
nicht minder, wenn auch mit geringerer Schärfe und Schönheit, 
bei Meister Eckhardt. Um die allmälige Durchdringung der Seele 
mit göttlicher Liebe und ihre endliche Einigung mit Gott an- 
schaulich zu machen, schildert er die WVirkung (les Feuers, das 
sich dem kalten, ihm noch ungleichen Holze nähert, und es zu 
erfassen strebt. Anfangs, bei beginnender Durchwärmung, 
raucht, kracht und prasselt es, aber je heisser , je ähnlicher dem 
Feuer, desto stiller und friedlicher wird es, bis es endlich all- 
zumal Feuer, ganz mit ihm geeiniget ist. Unzählige Male wird 
diese Einung unter dem Bilde des Ergiessens betrachtet; wenn 
nur die Seele ein leeres Gefäss ist und sich unter, in Demuth, 
hält, dann muss sich, wie das VVasser nothwentlig von oben 
nach unten fliesst, Gott in sie ergiessen. Vielfach angewendet 
ist der Vergleich der Seele mit dem Auge; wie das Auge kein 
Stänblein, soll auch die Seele kein Sündlein leiden, sie kann Gott 
nicht schauen, so lange es darin ist; wie das an der Wand ge-
	        
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