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Die
deutschen
Mystiker.
schen Theologie zugekommen; man hätte sie allenfalls auch
ohne Bezugnahme auf specielle Stellen der Schrift vortragen
können. Wenn sie daher ihre Sätze dennoch mit den einzelnen
Ereignissen der heiligen Geschichte in Verbindung brachten , so.
hatte dies keine innere Nothweildigkeit, es war nicht eine sym-
bolische Deutung der Schrift, sondern eine allegorische, mehr
oder weniger willkürliche Beziehung, bedingt theils durch das
kirchliche Herkommen, über biblische Texte zu predigen , theils
durch das Bedürfniss, ihre abstraeten Begriffe durch entspre-
chende Bilder verständlich zu machen. Auch diese Bilder waren
keineswegs immer aus der Schrift genommen; weder die histo-
rischen Erzählungen noch die Gleichnissreden genügten den ge-
heimnissvollen Hergängen des Seelenlebens, welche sie schildern
wollten. Viel geeigneter Waren dazu gewisse Erscheinungen
der Natur, die Phänomene des Lichtes, der Optik, der VVärme,
der Schwere, mit einem Worte des allgemeinen Naturlebens , in
denen die Herrschaft fester, wunderbarer Gesetze offen zu Tage
liegt. Zu allen Zeiten haben diese Erscheinungen als Erläute-
rung des geistigen Lebens gedient, und in der christlichen My-
stik kommen sie frühe vor. Die Kirchenväter und St. Bernhard
bedienen sich ihrer, bei Dante sind sie überaus häufig, und fast
nicht minder, wenn auch mit geringerer Schärfe und Schönheit,
bei Meister Eckhardt. Um die allmälige Durchdringung der Seele
mit göttlicher Liebe und ihre endliche Einigung mit Gott an-
schaulich zu machen, schildert er die WVirkung (les Feuers, das
sich dem kalten, ihm noch ungleichen Holze nähert, und es zu
erfassen strebt. Anfangs, bei beginnender Durchwärmung,
raucht, kracht und prasselt es, aber je heisser , je ähnlicher dem
Feuer, desto stiller und friedlicher wird es, bis es endlich all-
zumal Feuer, ganz mit ihm geeiniget ist. Unzählige Male wird
diese Einung unter dem Bilde des Ergiessens betrachtet; wenn
nur die Seele ein leeres Gefäss ist und sich unter, in Demuth,
hält, dann muss sich, wie das VVasser nothwentlig von oben
nach unten fliesst, Gott in sie ergiessen. Vielfach angewendet
ist der Vergleich der Seele mit dem Auge; wie das Auge kein
Stänblein, soll auch die Seele kein Sündlein leiden, sie kann Gott
nicht schauen, so lange es darin ist; wie das an der Wand ge-