Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Die Spätzeit des Mittelalters bis zur Blüthe der Eyck'schen Schule (Bd. 6 = [2], Bd. 4)

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Englische 
Kunst. 
die Gestalten, besonders die des Stammvaters, die der ebenfalls 
am Boden sitzenden Maria fast knoehenlos, und dies augenschein- 
lich nicht durch das [Tngeschick des Bildners, sondern um eines 
weichen Ausdrucks willen, den auch das Oval der Köpfe und die 
langen tliessenden Locken bezwecken. Diese Auflassung wider- 
sprach denn aber doch zu sehr den Anforderungen der Plastik 
und selbst den sittlich ästhetischen der Britten an Würde, man 
wandte sich daher einer fast extrem entgegengesetzten zu, die 
schliesslich zur allgemein herrschenden wurde. Die Haltung der 
Figuren wird nämlich nun ganz gerade, bis zur Steifheit, der 
Ausdruck des Gesichts ernst und trocken; die Gewänder fallen- 
wieder wie in der vorigen Epoche in senkrechten Falten, aber 
nicht mehr so breit und voll, sondern zahlreicher, dichter, klein- 
licher; sie sind kürzer und lassen die Füsse mit ihrer spitz zu- 
laufenden Bekleidung und gebogenen Haltung sehen. Auch die 
Körperbildung verändert sich, die Gesichter, namentlich der Theil 
zwischen Augen und Mund sind lang gezogen und auch der 
Oberkörper erhält längere Verhältnisse; es sind entschieden eng- 
lische Züge, mit einiger Uebertreibung des nationalen Typus. 
Zu dieser Reaction im nationalen Sinne mochten auch die Gegen- 
stände der kirchlichen Sculptur beitragen. In Frankreich und 
Deutschland sind sie durchaus idealen Inhalts, auch die Königs- 
reihen. welche sich an einigen französischen Kathedralen finden, 
bedeuten nicht die einheimischen, sondern die alttestamentarischen 
Könige; in England verhält es sich bei den Scnlpturen dieser 
Epoche umgekehrt; die Attribute, Wappen und andere Zeichen 
lassen keinen Zweifel, dass wir wirklich die Beherrscher des 
Landes aus sächsischem und normannischem Stamme in voll- 
ständiger Reihe oder nach einer durch die Geschichte der Kirche 
bestimmten Auswahl vor uns haben. Dazu kam dann noch, dass 
dort die drei Portale bedeutsame Mittelpunkte für die Anordnung 
des plastischen Facadenschmuckes und dadurch die Richtung auf 
einen Gedankeninhalt mit rhythmischen Gegensätzen gaben, Wel- 
cher ein tieferes Eingehen auf die Mannigfaltigkeit des Lebens 
und auf ideale Motive gestattete und forderte, während die klei- 
nen unscheinbaren Portale der englischen Dome keinen Raum für 
bedeutenden plastischen Schmuck gewährten, und dieser sich
	        
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