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Englische
Kunst.
die Gestalten, besonders die des Stammvaters, die der ebenfalls
am Boden sitzenden Maria fast knoehenlos, und dies augenschein-
lich nicht durch das [Tngeschick des Bildners, sondern um eines
weichen Ausdrucks willen, den auch das Oval der Köpfe und die
langen tliessenden Locken bezwecken. Diese Auflassung wider-
sprach denn aber doch zu sehr den Anforderungen der Plastik
und selbst den sittlich ästhetischen der Britten an Würde, man
wandte sich daher einer fast extrem entgegengesetzten zu, die
schliesslich zur allgemein herrschenden wurde. Die Haltung der
Figuren wird nämlich nun ganz gerade, bis zur Steifheit, der
Ausdruck des Gesichts ernst und trocken; die Gewänder fallen-
wieder wie in der vorigen Epoche in senkrechten Falten, aber
nicht mehr so breit und voll, sondern zahlreicher, dichter, klein-
licher; sie sind kürzer und lassen die Füsse mit ihrer spitz zu-
laufenden Bekleidung und gebogenen Haltung sehen. Auch die
Körperbildung verändert sich, die Gesichter, namentlich der Theil
zwischen Augen und Mund sind lang gezogen und auch der
Oberkörper erhält längere Verhältnisse; es sind entschieden eng-
lische Züge, mit einiger Uebertreibung des nationalen Typus.
Zu dieser Reaction im nationalen Sinne mochten auch die Gegen-
stände der kirchlichen Sculptur beitragen. In Frankreich und
Deutschland sind sie durchaus idealen Inhalts, auch die Königs-
reihen. welche sich an einigen französischen Kathedralen finden,
bedeuten nicht die einheimischen, sondern die alttestamentarischen
Könige; in England verhält es sich bei den Scnlpturen dieser
Epoche umgekehrt; die Attribute, Wappen und andere Zeichen
lassen keinen Zweifel, dass wir wirklich die Beherrscher des
Landes aus sächsischem und normannischem Stamme in voll-
ständiger Reihe oder nach einer durch die Geschichte der Kirche
bestimmten Auswahl vor uns haben. Dazu kam dann noch, dass
dort die drei Portale bedeutsame Mittelpunkte für die Anordnung
des plastischen Facadenschmuckes und dadurch die Richtung auf
einen Gedankeninhalt mit rhythmischen Gegensätzen gaben, Wel-
cher ein tieferes Eingehen auf die Mannigfaltigkeit des Lebens
und auf ideale Motive gestattete und forderte, während die klei-
nen unscheinbaren Portale der englischen Dome keinen Raum für
bedeutenden plastischen Schmuck gewährten, und dieser sich