Grabmonunlenlte.
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aber es hängt doch von der Verschiedenheit nationaler Stimmun-
gen ab, in wie weit die Kunst es für ihre Aufgabe hält, sie zu
erwecken. Auf dem Continente suchte man vielmehr noch in
dieser Epoche "aus der Fülle der Gedanken und Emptindungen,
welche der Tod giebt, die weichen. rührenden, tröstenden her-
auszuheben, und durch den Ausdruck des Verstorbenen oder
durch die beigefügten heiligen Gestalten auch in den Beschauern
anzuregen. Das brittische Volk hatte andere Bedürfnisse, seine
Frömmigkeit war ernster, strenger, gesetzlicher. Die Väter hat-
ten sich noch im Tode mit der Hand am Schwerte abbilden las-
sen, die Söhne und Enkel fanden es zwar anständiger, sich in
frommer Ergebung, mit gefalteten Händen zu zeigen; aber diese
Ergebung war die eines militärischen Gehorsams, der auf Frei-
willigkeit nicht Anspruch macht, sondern schweigend und mit
[lnterdrückung des eigenen Gefühles folgt. Die volle Entwicke-
lung aller weltlichen Standesehre, welche der aristokratische Sinn
der Britten für nothwendig hielt, war zwar nur eine Rechtsver-
wahrung des Verstorbenen für sich und seine Nachkommen,
aber sie stand doch im Gegensatze mit den weicheren Gefühlen
völliger Hingabe, sie erinnerte an die Herrlichkeit der Welt über-
haupt und an den herben Gegensatz ihres Glanzes und der Nacht
des Grabes. Dieser Gegensatz, der gerade wegen der Sprödig-
keit des normannischen Sinnes dem englischen Volke in der
Geschichte seiner Könige und Grossen so oft und so ergreifend
vor Augen trat, beschäftigte es schon frühe. In ihm lag für das-
selbe die Poesie des Todes, die es auch auf den Grabsteinen
suchte. Aber die bildende Kunst hatte dafür kein anderes Mittel,
als jene Steifheit, und so kam es, dass man gerade diese suchte
und selbst in der geistlosen Leerheit, wie sie die Messingarbeiter
lieferten, ertrug, ja vielleicht mit einer gewissen Erbauung be-
trachtete.
Freilich trug dann aber zu dieser Erstarrung der Grabge-
stalten der allgemeine Verfall der Sculptur bei, der unleugbar in
dieser Epoche eintrat, wenn gleich sehr viel langsamer. Am
Anfange der Epoche finden wir sie noch auf der Höhe, die sie in
der vorigen erreicht hatte. Die Statuen von Wells und die Re-
liefs des Engelchores in der Kathedrale von Lincoln wurden