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Englische
Kunst.
den Geschlechtern noch zu; die Hauben laden neben der Stirn
weit aus wie breite Flügel oder steigen wie Hörner über den
Diadem auf, und bei den Rittern ruht das Haupt nicht mehr wie
sonst auf einem etwa von Engeln gehaltenen Kissen, sondern auf
dem Turnierhelm, dessen Zeichen, ein leiehenhafler Menschen-
kopf,_der lange Hals eines Schwanen oder Geiers, ein Löwen-
rachen oder andere bizarre Formen, darunter hervorsehen. Auch
auf den Gräbern des Continents bemerken wir den llilCllilieiligen
Einfluss des Costüms, aber bei Weitem nicht in dem Grade wie
hier; die Rüstungen bleiben noch viel länger einfach und die
Frauen sind meistens schlichter, nonnenhaft oder häuslich ge-
kleidet de). Es scheint daher, dass die brittische Sitte strenger
darauf hielt, dass auch auf dem Grabe jeder mit allen Ehren und
VVürden, der.Vornehme also auch wie bei Hoffesten und Tur-
nieren erscheine. Die künstlerische Freiheit war durch den ari-
stokratischen Sinn und durch eine pedantisehe Rücksicht auf die
weltlichen Standesverhältnisse beschränkt.
Allein dies war es doch nicht allein; denn auch da Wo jener
Zwang aufhörte, machen die Künstler von ihrer Freiheit keinen
Gebrauch. Bei den Damen ist der meistens unbedeckte Hals ohne
feinere Durchbildung, der Rock ohne Andeutung der Körperfor-
men, der Mantel auf beiden Seiten symmetrisch steif herabfallend,
und auch da wo die Standestracht günstiger war, bei den Bürger-
frauen in ihrem bequemen weiten Anzuge, bei den Rechtsgelehr-
ten mit dem faltenreichen, umgürteten 'l'alar, bei den Geistlichen
und endlich bei den stets im Krönungsorilate dargestellten Köni-
gen fallen die Gewänder entweder in dichten und gleichförmigen,
senkrechten Parallelen oder in anderen, aber styllosen Falten. Auch
die Gesichter werden mit wenigen Ausnahmen immer breiter, star-
rer, geistloser. An den Königsgräbern dieser Epoche können wir
diesen fortschreitenden Verfall beobachten. Wenn der unglückli-
4") Das einzige mir bekannte Beispiel einer solchen häuslichen Tracht in
England giebt eine Messingplatte v. J. 1397 in Brandsburton in Yorkshire
(bei Boutell, monumental brassesb), wo die neben ihrem Gemahl, dem Ritter
von St. Quentin, ruhende Dame zwar die steife Haube aber ein weites gürtel-
loses Kleid trägt. Es ist eine der anmuthigsten Frauengestalten auf eng-
lischen Gräbern.