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Englische
Kunst.
und charakteristisch aufgefasst. Auch die Behandlung des Co-
stüms und die Ausführung der Thiere und Blumen in den Rand-
verzierungen verrathen eine realistische Neigung, welche jedoch
das poetische Element und die ideale Auffassung der heiligen
Gestalten nicht beschränkt. Die Miniaturen eines um 1430 ge-
schriebenen Gedichts in altenglischer Sprache (im britt. Museum
Cotton. Faustina, B. VI) enthalten noch dieselben Allegorien,
namentlich die von den Bäumen der Tugenden und Laster, wel-
che schon hundert Jahre vorher vorgekommen waren, Während
die schöne und reiche Malerei an Meister Stephan von Köln er-
innert, und später finden sich häufigere Anklänge an niederländi-
sehe Weise, bis endlich jedoch erst nach der Mitte des Jahr-
hunderts der Realismus im Sinne der Eyck'schen Schule auch
hier, wie in Frankreich und Deutschland, herrschend wird. Im
Ganzen also erhält sich die brittische Kunst in dieser leichteren,
der poetischen Empfindung mehr zugänglichen Gattung ziemlich
gleichbleibend und auf derselben Höhe und giebt erst am SChlUSSe
der Epoche fremdem Einflusse nach.
An die Betrachtung der Malerei will ich sogleich einige Be_
merkungen über die als blosse Zeichnung ihr verwandte Technik
der gravirten Messingplatten anschliessen, welche, wie schon
oben bemerkt, während dieser Epoche noch aus dem Auslande
eingeführt wurden, jedoch nur ausnahmsweise mit, in den mei_
sten Fällen ohne Gravirung. Dies giebt uns die erwünschte Ge-
legenheit, englischen und festländischen Styl zu vergleichen und
zwar in einem Falle auf ein und derselben Platte. Sie dient als
Grab des Abtes Thomas Delamare in der grossen Abteikirche
von St. Albansß), ist wahrscheinlich lange vor seinem Tode
(1390), etwa um 1360 verfertigt, und stimmt im Ganzen mit den
deutschen Platten dieser Art, namentlich mit den bischöflichen
Gräbern in Lübeck und Schwerin so genau überein, dass sie
offenbar aus derselben Oflicin hervorgegangen sein muss. Die
Anordnung der Architektur, die Zeichnung der auch hier paar-
1') Die Abbildung bei Carter Specimens Taf. 33 ist im Ganzen treu.
Die oben beigefügten Zeichnungen sind überdies nach einem mir von meinem
Freunde, Herrn v. Quast, gütigst mitgetheilten Abdrucke der Originalplatte
verbessert.