Miniaturen.
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wohl als Andeutung der Strafgerichte Gottes ein Bündel Pfeile,
bei der Besteigung der Arche mit Hülfe einer Leiter trägt Noah
ein Kind auf der Schulter; bei der Sündfluth selbst sehen wir
einen Raubvogel auf der Leiche eines Pferdes. Häufig zeigt sich
das Bestreben, die heiligen Geschichten der damaligen Zeit näher
zu bringen; so wenn Abraham sich mit der Sarah durch einen Ring
verlobt, den er ihr an den Finger steckt, oder wenn, was freilich
in den englischen Miniaturen gewöhnlich, Maria als Wöchnerin
in wohleingerichtetem Bette liegt. Die Auffassung ist also eine
realistische, aber in einem ganz anderen Sinne wie bei den Nie-
derländern, sie geht mehr auf innere, als auf äussere Wahrheit,
und behält die Federzeichnung und die leichte harmonische Fär-
bung der bisherigen Schule bei, welche beide hier nur mit so
feinem Schönheitsgefühle behandelt sind, dass man den Codex
als eines der ausgezeichnetesten Werke der Miniaturmalerei be-
trachten darf. Interessant sind dann auch die kleinen Miniaturen
auf dem unteren Rande des Psalters, die eine Fülle von heiligen
Geschichten, Legenden, Mährchen, humoristischen Scenen, be-
sonders aber auch eine reiche Sammlung von wirklichen und
fabelhaften Thieren in den verschiedensten Situationen enthalten,
so dass es zuletzt auf eine Art Bestiarium abgesehen scheint.
Auch die Lebendigkeit und der Humor dieser Thierwelt hat ein
nationales Element und wird in anderen englischen Miniaturen
wiedergefunden.
Dramatische Lebendigkeit und freie Erfindung, harmonische
Färbung und Schönheitsgefühl der Zeichnung sind die bleiben-
den Vorzüge dieser Schule in fast allen ihren Werken ab). Spä-
ter, sehon in einer biblischen Geschichte des brittischen Museums
(Regia I7, E. VII), Welche die Jahreszahl 1356 enthält, wird
auch die Zeichnung der Köpfe individueller, und in einem anderen
Codex derselben Sammlung (Harleian Nro. 7026), welcher für
einen Lord Lovell ungefähr um das Jahr 1400 ausgeführt wurde,
sind die Portraits, das zwei Mal wiederholte des Lords und das
eines Mönchs, Frater Johannes Siverwas, welcher, anscheinend
der Maler, das Buch demselben überreicht, schon sehr lebendig
4'] Vergl.
richte über 1
dem Be-
die Aufzählung Waagenk a. a. O. 1., S. 175 und bei
lie Bodleyanische Bibliothek in Oxford III, S. 92.