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Englische
Malerei.
wickelung der brittischen Kunst bis um etwa 1360 und gewisse
Eigenthiimlichkeiten derselben, nicht aber ihre ferneren Schicksale
erkennen. Etwas weiter führen uns die Miniaturen, welche,
wenn auch nur in mässiger Anzahl vorhanden, sich doch über
einen weiteren Zeitraum und bis in die folgende Epoche hinein
verbreiten, und uns im Ganzen die brittische Kunst in sehr gün-
stigem Lichte zeigen. Im Ganzen ist der Entwickelungsgang
derselbe wie jenseits des Kanals, nur dass die englische Schule
sich langsamer von dem idealen Style lossagt wie die französisch-
niederländische. Noch lange und bis gegen 1400 bestehen auch
hier die Miniaturen in leicht und sanft colorirten Federzeichnun-
gen auf Gold- oder 'l'apetengrund, und anfangs gleichen sie den
französischen so sehr, dass, wo nicht äussere Beweise entschei-
den (Inschriften, einzelne eingestreute englische VVorte oder das
Vorkommen englischer Lokalheiligen im Kalender), der [lrsprung
oft zweifelhaft sein kann. Indessen zeigen sich gleich anfangs
gewisse Verschiedenheiten, sowohl der Auffassung wie der
'l'echnik. Die Ausführung hat nicht die Sicherheit und den festen
Schulcharakter, aber auch nicht die gleichförmige, nüchterne
Glätte wie bei den Pariser Miniaturen, sie ist in jeder Beziehung-
individtieller. Die Zeichnung ist bald steifer, bald aber auch von
feinerem Schönheitsgefühl und mehr empfunden, die Farbe har-
monischer und zum Theil kräftiger. Gewisse wirksame FarbenQ
Verbindungen, besonders in den Randverziernngexi, sind für die
englische Schule charakteristisch. Noch grösser ist die Ver-
schiedenheit der geistigen Auffassung; während die französischen
Miniatoren gleichsam im Conversationston vortragen, in herge-
brachter, schon bekannter Weise, mit unterhaltender Heiterkeit,
aber mit sorgfältiger Vermeidung des Anstosses, ist das Bestre-
ben der englischen Maler auf höhere poetische Belebung der
Gegenstände oder auf Tiefe des Gedankens gerichtet. Allegori-
sche Darstellungen, zum Theil ungewöhnliche, sind sehr beliebt
und die bekannten heiligen Geschichten werden entweder durch
Hinzudichtung neuer Momente oder durch stärkere Betonung
der dem englischen Herzen zusagenden gemiithlieheil und häus-
lichen Motive, oder endlich (lurch eine dramatische Lebendigkeit
anziehend gemacht, welche freilich zuweilen noch etwas gewalt-