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Französisch-niederländische
Kunst.
der älteren Schule, aber an die Stelle der schlanken Körperbil-
dung und der flüssigen Linie sind kürzere Verhältnisse und eckige
Formen getreten, während andrerseits die Zeichnung bei weitem
richtiger, die Anordnung belebter, die Färbung sehr viel glän-
zender und wahrer, und wenigstens im Vergleich mit der frühe-
ren französischen Schule der Ausdruck inniger ist. Die kleinen
Figürchen der Ränder sind oft sehr geistreich und humoristisch;
der Affe mit der Laute, die Frau, welche sich vor einem aus den
Ranken heraussehemlen Kopfe fürchtet, sind zwar nicht neue
Gedanken, aber allerliebst ausgeführt. An Naivem fehlt es nicht,
wie z. B. neben dem Psalm, der die Ilülfe Gottes anruft (Deus
in adjutorium meum intende) eine gefangene Fürstin dargestellt
ist, Welcher ein Engel nicht blos einen Korb mit Speise, sondern
auch die Weinflasche bringt. Die Bäume sind noch etwas steif,
aber sonst die landschaftlichen Hintergründe mit besonderer Vor-
liebe ausgeführt, wobei denn der Himmel schon blau oder röth-
lieh abgestuft, zuweilen sogar mit deutlichen Wölkchen bedeckt
erscheint. Aehnlich und vielleicht noch vollendeter in der natura-
listischen Ausführlichkeit der Räume und N ebensachen sind denn
die, wie VVappen und Zeichen ergeben, für den Herzog von
Berry gefertigten Monatsbilder eines wahrscheinlich durch seinen
Tod (1416) unterbrochenen und erst fünfzig Jahre später vollen-
Kunst II, S. 231 abgedruckten Aufsatze zu Gunsten eines andern sogleich
näher zu erwähnenden, jetzt im Besitz des Herzogs von Aumale befindlichen
Gebetbuches. Allein da, wie Waagen selbst ausführt, in diesem Buche nur
die ungewöhnlich reich gehaltenen Monatsbilder (und auch diese nicht alle]
bei Lebzeiten des Herzogs von Berry 1416), alle andern darin enthaltenen
Bilder aber viel später, um 1460 gefertigt sind und zwar anscheinend in
Sevoyen, wohin jener Anfang eines prachtvollen Gebetbuches aus dem Nach-
lasse des Herzogs von Berry gekommen war, so konnte dieses unvollendete
Werk in dem 1416 abgeschlossenen Kataloge nicht als "tres helles Heures,
tres richement enluminees 82 ystoriees de la main de Jaquemart de Esdin
etc." bezeichnet und 4,000 Livres tournois taxirt werden. Viel wahrschein-
licher ist es, dass jene ersten Bilder identisch sind mit den: plusieurs cahiers
(Punes tres riehes heures, que faisoit Pol de Limbourc et ses freres etc,
welche zufolge der Angabe in dem beim Tode des Herzogs aufgenommenen
Kataloge in einer layette bewahrt und auf 500 Livres tournois geschätzt
Wurden, und dass Waagelfs frühere Vermuthung in Beziehung auf den im
Texte erwähnten Codex der Pariser Bibliothek richtig ist.