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Französisch-niederländische
Kunst.
wird neben einer Reihe von kleineren Bildern des gewöhn-
lichen französischen Styles ein grösseres ansgeführteres Blatt
mit der Kreuzigung, welches ideale Aulfassung nach Art. der
deutschen Schule mit niederländischer Naturwahrheit verbindet.
Die meisten der etwas späteren Miniaturen stammen, wie die In-
schriften ergeben, aus der Bibliothek des Herzogs von Ben-y,
bei dessen künstlerischen Unternehmungen, wie erwähnt, Attdrg
Beauneveu aus dem Hennegau an der Spitze stand; dennoch
macht sich auch hier die neuere Schule nur allmälig geltend. In
einer grossen zweibändigen französischen Bibel (jetzt im Britti-
sehen Museum Harleian, 4381), welche der Herzog in eigen-
händiger Inschrift als sein Eigenthum bezeichnet hat, zeigen die
zahlreichen und prächtigen Miniaturen französische Hand und
Farbe, aber doch in einzelnen Stellen ein Bestreben nach höherer
Individualität in niederländischer Weise im). Auch in den vier-
undzwanzig Bildern der Propheten und Apostel, welche einem
prachtvollen Psalter der grossen Pariser Bibliothek vorangehen,
und die man nach einer Notiz in dem alten Verzeichnisse der
Büchersammlung des Herzogs dem Andre Beauneveu selbst zn-
schreiben zu dürfen glaubtkida), ist der ältere Styl mit den langen
geschwungenen Linien, der atfectirten Grazie, der heraldisch
symmetrischen Anordnung noch sehr vorherrschend, selbst jene
Propheten und Apostel, sämmtlich in weissen Gewändern, mit
zarter Fleischfarbe lnid leicht gefärbtem architektonischen Hinter-
grunde, machen davon noch keine Ausnahme, und nur ihre bessere
körperliche Durchbildung, namentlich die Individualisirung der
Köpfe, verrathen die Hand des Meisters und den beginnenden
"Q Das Manuscript ist dahin aus dem Cistereienserkloster Salem am Boden-
see gelangt, aber erst im Jahre 1765 von einem Abte desselben in Paris
angekauft. Vergl. Waagen, K. u. K. W. in Deutschland II, p. 383.
i?) Näheres über diesen Codex bei Waagen, Treasures of art in Great-
Britain, London 1854. I, pag. 113.
ü") Mss. lat. 2015, bei Waagen a. a. O. S. 335. In dem Bücherver-
zeichxtisse des Herzogs von 1403 heisst es von einem Psalter: I1 a plusieurs
histoires au commencement de la main de Maitre Andre Beauneveu. Da der
Ausdruck histoires schwerlich so eng gefasst war, um nicht auch von den
einzelnen statuarischen Gestalten gebraucht zu werden, und da diese am
Anfange stehen und von besserer Hand sind, ist die Vermuthung der Iden-
tität unsers Codex mit dem in jener Notiz bezeichneten wohl begründet.