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Religiöse
Zustände.
grossen Zahl von geistlichen 'l'öchtern in steter Beziehung, die
zum Theil Visionen über ihn, auch wohl gleichzeitige mit ihm
haben, und deren Verehrung für ihn sich in süsslicher Weise
äussert i). Auch blieb es nicht aus, dass er dabei „den Lohn
der Welt" empfing und in argen Verdacht kam, den er aber als
eine Leidensübung erduldete. Bei allen seinen Schwächen sind
die liebenswürdigen Eigenschaften, die Reinheit, Einfalt und
Wärme seines vminnereichen" Gemüths, die Kenntniss des
eigenen und des menschlichen Herzens überhaupt, der ernste
Schmerz über die V erderbniss der Welt, die Gedankentiefe
seiner Speculationen so überwiegend, dass wir uns an dem an-
ziehenden Bilde seines Lebens ungestört erfreuen können.
ES ist begreiflich, dass bei dieser Steigerung sowohl des
Gefühls als der Gedanken auch die Phantasie in hohem Grade
erregt wurde. Schon jene mystische Einung mit Gott, wenn sie
auch als im tiefsten Grunde der Seele ausserhalb des Raumes
und der Zeit vor sich gehend gedacht wurde, musste doch, da
sie in das zeitliche Leben eingriff, als eine vereinzelte Erschei-
nung aufgefasst und Gegenstand der Vorstellung werden. Un-
sere Mystiker sprechen sich freilich darüber nur in unbestimmten
Andeutungen aus; sie wissen nicht, ob sie in oder ausser dem
Leibe gewesen sind, sie können nicht davon sagen, weil es un-
aussprechliche, die Vernunft übersteigende Dinge sind, aber sie
haben doch die Erinnerung überschwenglicher Freude, und be-
zeichnen den Zustand dieser Verzückung durchweg als einen
nlichtreichen", geben daher die Vorstellung des Glanzes. Bei
einigen sind auch die Sinne bestimmter berührt. Ruolman
Merswin sieht bei seiner ersten Verzückung, während er in
seinem Garten in dankbarem Nachdenken über Gottes an ihm
bewiesene Gnade herumgeht , ein klares Licht, wird dann in die
Luft geführt und hört süsse Töne; Tauler, am Ende seiner zwei-
jährigen Busszeit, versteht die ihm zugerufenen Worte; Snso
a] Er hatte im Anfange seiner Kasteiung den Namenszug Jesus (J. ES.)
auf seiner Brust eingeschnitten, eine seiner geistlichen Töchter kam nun auf
11m Einfall, denselben Namenszug auf Tüchlein zu sticken, die er auf sein
blosses Herz legte, und so mit seinem Segen seinen anderen geistlichen Töch-
tern sandte. Diepenbrock a. a. O. S. 184.