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Französisch-niederländische
Kunst.
scheinen. Dasselbe gilt von dem im Kupferstichkabinet der Pa-
riser Bibliothek aufbewahrten Brustbilde des Königs Johann, das
noch im vierzehnten Jahrhundert, aber doch wohl erst einige De-
cennien nach dem Tode des Königs ausgeführt scheint. Es ist
auf Holz auf tapetenartigem Grunde im Profil sauber gemalt, in
der Umrissliilie mit einem Bestreben nach Aehnlichkeit, in der
Schattirung aber ohne Rücksicht auf die feineren Modulationen
der Körperbildurlg nur mit weicher Vertreibung der Schatten zum
Lichte, mit etwas matter aber harmonischer Farbe; es zeigt uns
daher mit den durch die verschiedene 'l'eehnik bedingten Aende_
rungen dasselbe Bestreben nach glatter gefälliger Behandlung,
das wir in den Miniaturen, und die ängstliche lNiaturtreue, die wir
in den gleichzeitigen Bildhauerwerken, z. B. an den Reliefs von
Meister Ravy in N otre-Dame beobachtet haben.
Wenn hiernach bei den grösseren Malereien neben einer
Mehrzahl französischer Künstler einige Niederländer ver-
wendet wurden, so arbeiteten auch an den Miniaturen neben
jenen obeugenannten niederländischen Meistern noch fortwährend
französische Illuminatoren, und zwar nicht blos für den Bücher-
handel, sondern auch für den Dienst jener Prinzen, so feine
Kenner der Büchermalerei sie waren. Wir haben darüber zwar
keine ausdrückliche Nachricht und der Ehre ausdrücklicher An-
führuug ihres Namens in den Katalogen sind diese französischen
Arbeiter nicht gewürdigt, aber die hliniaturen selbst lassen uns
die ursprüngliche Verschiedenheit beider Schulen, die graziöse,
aber doch mehr conventionelle und leichte Weise der französi-
schen und die mehr realistische und ausgeführte der Niederländer
noch lange erkennen, und zwar so, dass öfter Arbeiten beider
Art in einem und demselben Codex vorkommen.
Im Ganzen mussten die Künstler beider Nationen durch
diesen Verkehr gewinnen, die Niederländer Waren genöthigt,
sieh die Zartheit und die harmonische Durchbilduug anzneigilen,
welcher die französischen llluminatoren allzusehr und auf Kosten
der Energie und Wahrheit gehuldigt hatten, und diese lernten
von jenen mehr auf die Natur eingehen. Ein sehr interessantes
kleines Denkmal , in welchem sich dieser Austausch in günstig-
ster VVeise zeigt, befindet sich in der königlichen Bibliothek zu