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Niederländische
Kunst.
Die Bildchen, ohne Zweifel während dieser Zeit und im Kloster
gefertiget, stehen in der künstlerischen Durchbildung noch auf
keiner hohen Stufe; sie sind auf Gold- oder 'l'apetengrund mit
der Feder ziemlich leicht gezeichnet und colorirt, zeigen aber
dahei ein ungewöhnliches und erfolgreiches Bestreben nach Na-
turwahrheit und Charakteristik, also dieselbe Tendenz, wie die
Sculpturen der einheimischen Schule, und vermöge der leichteren
Technik in noch stärkerem Maasse. Eines der Bilder schildert,
wie das Volk die Schuld der verheerenden Krankheit den Juden
znschreibend einige derselben auf dem Markte verbrennt; man
sieht sie schreiend in den Flammen, während die Bürger theils
mit fanatischer Freude Ilolzbündel hineinwerfen, theils sich drän-
gen, um das Schauspiel zu sehen. Ein anderes führt uns zur
Pestzeit auf den Kirchhof, zu dem sich die Bestattenclen drängen;
vorn in dem sorgsam ausgeführten Hasen sieht man grabende
Männer oder solche, welche die Leichen in die Grüfte senken,
Während neben ihnen schon andere von den 'l'rägeri1 abgesetzte
Särge der Bestattung harren und seitwärts eine Anzahl von Per-
sonen mit Särgen auf den Schultern in ängstlicher Eile herange-
laufen kommen. Die Bildchen sind ziemlich figurenreich und aus-
drucksvoll und überhaupt ist die Aufgabe, jene grauenvollen Iler-
gänge anschaulich zu machen, ziemlich geschickt gelöst. Aber
von einem tieferen Verständniss der Körperbiltlilng ist noch nicht
die Rede und das landschaftliche Element noch völlig unausge-
bildet, selbst die Andeutung von Gebäuden des Marktplatzes
fehlt gänzliclfe). Etwas stärker ist es in einem jetzt ebenfalls im
Museum Wierstreeneil im Haag bewahrten Messbuche, welches
zufolge ausführlicher Inschrift des aus Antwerpen stammenden
Illuminators zu Gent im Jahre 1366 vollendet isttkät). Die
Zeichnung der Köpfe ist noch sehr einförmig und ohne Gefühl
für Individualität, selbst an den wiederholt vorkommenden Bild-
Ein drittes Bild! von sittengeschichtlichem Interesse stellt den Aufzug
der Geissler dar; zwei Knaben mit Fackeln geht-n voran, die Geissle-r selbst in
weissen Busskleidern und mit eigenthümlichen llliitzen folgen paarweise. Die
Alzffassung ist aber bei weitem nicht so lebendig, wie auf jenen Bildern.
M) Vergl. wiederum Waagen a. a. O. im D. Kunstbl. 1852. Anno dei
MCCCLXVI fuit perfectus liber iste a laurentio illuminatore presbytcro de
Antwerpia commemoraxiti Gandavi.