Die
Bildnerschule
V01]
Tournay.
563
Schmidts Jan Jsac von 1401, beide bei Herrn Dumortier, dann
aber auch das eben da befindliche des Jean du Bos von 1438
und das vielleicht ebenso späte des Eustache Savary im rechten
läreuzarme der Kathedrale, an welchem das Todesjahr unausge-
füllt geblieben ist. An allen diesen ist die Körperbiltlung und
Gewaudung ungeachtet der naturalistischen Neigung sehr schön
und würdig, während bei den meisten der dazwischenliegenden
die Gewandfalten unruhig und überladen, die Körperformen
plump und roh sind. Man darf voraussetzen, dass die kirchlichen
Sculpturen mit grösserer Sorgfalt und von besseren Händen aus-
geführt. wurden, als die alltäglichen Aufgaben der Grabsteine,
und glücklicherweise ist wenigstens ein solches Werk der Zer-
störung entgangen, in welchem wir die Schule auf ihrer Höhe
sehen. Es sind dies die zwei lebensgrossen Gestalten der Ver-
kündigung, welche, neuerlich mit allzu lebhaften ltarlien über-
malt, an den Pfeilern des Kreuzschilfes in St. Maria Magdalena
in Tournay aufgestellt sind. Der Engel im langen, auf dem Bo-
den aufliegenden Gewande hat schon die Bewegung des Knie-
beugens, die in der Eycläschen Schule herkömmlich wurde, in-
dessen erscheint er schlanker, als diese 11m zu bilden pflegte,
wozu selbst der Fehler, dass Kopf und Oberleib im Verhältniss
zu dem unteren Theile des Körpers zu klein gerathen sind, etwas
beiträgt. Viel schöner ist aber die Jungfrau. Sie scheint in Folge
des englischen Grusses sich eben erhoben zu haben und hält in
der Linken das Buch, Während die Rechte den durch die Bewe-
gung sinkenden Mantel unter der Brust fasst, so dass er in freien
Falten heruntterfällt und die Ilälfte des Kleides unbedeckt lässt.
VVährentl dies eigenthümliche Gewandmotiv eine genaue künst-
lerische Beobachtung der Natur verräth, hat aber das "Ganze und
besonders das schöne Gesicht noch ganz die geistige Amuuth
und Reinheit des idealen Stylcs. VVir werden das NVerk viel-
leicht schon um 1430 setzen und den Einfluss der benachbarten
Eyckischen Schule anerkennen müssen, allein die Art, wie der
Künstler sie benutzte ohne dem plastischen Style etwas zu ver-
geben, ist eine ungewöhnliche und beweist, wie stark und richtig
noch die 'l'raditioueu der einheimischen Bildnerschule waren, die
dann aber bald nach ihm der immer zunehmenden malerischen
36a: