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Niederländische
Kunst.
kehrender Construction bekrönt ist. Die Anordnung ist durchweg
eine malerische, so dass die Ilauptfignr, etwa die Jungfrau mit
dem Kinde oder die 'l'rinität, die Mitte einnimmt und in der Vor-
deransicht erscheint, während auf beiden Seiten andere Gestalten,
gewöhnlich die knienden Familienglietlci- des Stifters und ihre
Schutzheiligen in halbem Profil erscheinen. Auf dem Grabsteine
eines gewissen Jean du Bos vom Jahre 1438 halten zwei Engel
hinter der Jungfrau den Vorhang, ganz wie auf einem Bilde,
und auf einem andern älteren Steine ist das jüngste Gericht mit
gleicher malerischer Anordnung dargestellt. Auch waren die
meisten dieser Denkmäler, wie zahlreiche Farbenspnren ergeben,
wirklich ganz in natürlicher Farbe bemalt. Die Gestalten sind
(lurchweg von kurzen Verhältnissen mit breiten Gesichtern und
weiten, in zahlreiche weiche Falten gebrochenen Gewändern, die
Familienglietler der Bestatteten stets in der Tracht der Zeit, mit.
sichtbarem und nicht erfolglosem Bestreben nach Portraitähnlich-
keit; der Naturalismus geht dabei schon soweit, dass man bei
den Biegungen des Körpers die Falten der Haut, an den Brüchen
der Gewänderidie Schwere des Stoffes wahrnimmt. Der Kunst-
werth dieser Denkmäler ist im Ganzen nicht sehr gross, sie sind
in der Ausführung handwerklich und verrathen, dass der Bildner
die VVirkung zum Theil von der Farbe erwartete. Indessen
zeichnen sich doch einige durch stylvollcre Behandlung und
durch lebendigeren Ausdruck vor den anderen aus. Dahin gehört
der Grabstein des Doctor's der Rechte Nicola de Seclin und seiner
Familie, welcher wahrscheinlich in den letzten Deccnnien des
vierzehnten Jahrhunderts gearbeitet istg), und der des Gold-
a] Nicola de Seclin 1' 1341, seine Frau i" 1335 und sein Sohn Colard
de Seclin 1401, sind gemeinsam bestattet; die letzte Jahreszahl ist so ge-
schrieben, dass man erkennt, dass nur die Zahlzeic-hen MCCC ursprünglich
und die anderen später hinzugefügt sind. Herr Dumortier und nach ihm
Waagen schliessen nun daraus, dass der Stein bei oder bald nach dem Tode des
Vaters (1341) gearbeitet sei und sind geneigt, ihn dem Bildhauer Wuillaunie du
Gardiu, der um diese Zeit, wie wir sogleich sehen werden, lebte, zuzuschreiben.
Allein da der Sohn, welcher königlicher Sergeant d'armes war, ganz erwachsen,
als reifer Mann und mit den Zeichen seiner Würde dargestellt ist, ist es ellen-
bar wahrscheinlicher, dass er nicht schon sechzig Jahre vor seinem Tode, son-
dern erst in den letzten Decennien des vierzehnten Jahrhunderts, frühestens
1360, das gemeinsame Denkmal bestellte.