Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Die Spätzeit des Mittelalters bis zur Blüthe der Eyck'schen Schule (Bd. 6 = [2], Bd. 4)

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Niederländische 
Kunst. 
kehrender Construction bekrönt ist. Die Anordnung ist durchweg 
eine malerische, so dass die Ilauptfignr, etwa die Jungfrau mit 
dem Kinde oder die 'l'rinität, die Mitte einnimmt und in der Vor- 
deransicht erscheint, während auf beiden Seiten andere Gestalten, 
gewöhnlich die knienden Familienglietlci- des Stifters und ihre 
Schutzheiligen in halbem Profil erscheinen. Auf dem Grabsteine 
eines gewissen Jean du Bos vom Jahre 1438 halten zwei Engel 
hinter der Jungfrau den Vorhang, ganz wie auf einem Bilde, 
und auf einem andern älteren Steine ist das jüngste Gericht mit 
gleicher malerischer Anordnung dargestellt. Auch waren die 
meisten dieser Denkmäler, wie zahlreiche Farbenspnren ergeben, 
wirklich ganz in natürlicher Farbe bemalt. Die Gestalten sind 
(lurchweg von kurzen Verhältnissen mit breiten Gesichtern und 
weiten, in zahlreiche weiche Falten gebrochenen Gewändern, die 
Familienglietler der Bestatteten stets in der Tracht der Zeit, mit. 
sichtbarem und nicht erfolglosem Bestreben nach Portraitähnlich- 
keit; der Naturalismus geht dabei schon soweit, dass man bei 
den Biegungen des Körpers die Falten der Haut, an den Brüchen 
der Gewänderidie Schwere des Stoffes wahrnimmt. Der Kunst- 
werth dieser Denkmäler ist im Ganzen nicht sehr gross, sie sind 
in der Ausführung handwerklich und verrathen, dass der Bildner 
die VVirkung zum Theil von der Farbe erwartete. Indessen 
zeichnen sich doch einige durch stylvollcre Behandlung und 
durch lebendigeren Ausdruck vor den anderen aus. Dahin gehört 
der Grabstein des Doctor's der Rechte Nicola de Seclin und seiner 
Familie, welcher wahrscheinlich in den letzten Deccnnien des 
vierzehnten Jahrhunderts gearbeitet istg), und der des Gold- 
a] Nicola de Seclin 1' 1341, seine Frau i" 1335 und sein Sohn Colard 
de Seclin  1401, sind gemeinsam bestattet; die letzte Jahreszahl ist so ge- 
schrieben, dass man erkennt, dass nur die Zahlzeic-hen MCCC ursprünglich 
und die anderen später hinzugefügt sind. Herr Dumortier und nach ihm 
Waagen schliessen nun daraus, dass der Stein bei oder bald nach dem Tode des 
Vaters (1341) gearbeitet sei und sind geneigt, ihn dem Bildhauer Wuillaunie du 
Gardiu, der um diese Zeit, wie wir sogleich sehen werden, lebte, zuzuschreiben. 
Allein da der Sohn, welcher königlicher Sergeant d'armes war, ganz erwachsen, 
als reifer Mann und mit den Zeichen seiner Würde dargestellt ist, ist es ellen- 
bar wahrscheinlicher, dass er nicht schon sechzig Jahre vor seinem Tode, son- 
dern erst in den letzten Decennien des vierzehnten Jahrhunderts, frühestens 
1360, das gemeinsame Denkmal bestellte.
	        
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