Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Die Spätzeit des Mittelalters bis zur Blüthe der Eyck'schen Schule (Bd. 6 = [2], Bd. 4)

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Religiöse 
Zustände. 
und vermöge eines Ueberrestes roher Sitten fasste man die Ehe 
nur von ihrer äusserlichen, sinnlichen und bürgerlichen Seite auf; 
Liebe und Ehe standen nach dieser Auffassung in keiner noth- 
wendigen Verbindung, vielmehr fast in einem Gegensatze, wobei 
denn die Liebe gegen die äussere Gesetzlichkeit und Prosa der 
Ehe, als das Freiere, Höhere, Poetische erschien. Nicht blos 
in leichtsinnigen Novellen, sondern auch in den Minnelictlern, 
obgleich sie höhere sittliche Ansprüche machen, wird die Ehe 
fast nur als Hinderniss erwähnt  wie vielmehr musste man sie 
so ansehen, wenn sie der höchstberechtigten Liebe, der Liebe zu 
Gott, entgegenstand, und die als verdienstlich und von unseren 
lilystikern fast als nothwendig betrachtete Flucht aus der Welt 
hinderte. War aber diese Geringschätzung nicht die YVirkung 
einer Kälte, so musste sie vielmehr das Liebcsbedürfniss stei- 
gern. {Tand so erkennen wir es denn auch in diesen Kreisen, in 
den vielfachen Verbindungen, welche die Gottesfreunde an- 
knüpfen, in dem lebendigen Briefwechsel, den sie ungeachtet der 
Schwierigkeit eines solchen Verkehrs ilnterhalten, der oft, ohne 
geschäftlichen oder wesentlichen Inhalt, nur den Erweis freund- 
licher Gesinnung durch Worte und kleine Geschenke bezweckt. 
Es ist nicht zu läugnen, dass diese Liebe zuweilen den Ausdruck 
einer siisslichen Tändelei erhält, was denn besonders in den 
"Verhältnissen dieser frommen Geistlichen zu Frauen, Nonnen 
oder Beichtkilnlern, her-Vortritt. Von dieser Art ist die Corre- 
spondenz eines Priesters, Ileinrich von Nördlingen, mit zwei 
Schwestern, Margaretha Ebner, Nonne zu liletlingeil in Baiern, 
und Christina, Aebtissin zu Engelthal bei Nürnberg; Heinrich 
zählt darin wohl in einem Athem ganze Reihen von Eigen- 
schaften auf, die er ihnen Wünscht, minnenden Geist, „brin- 
nenden" Ernst, sehnenden Jammer u. s. f Diese Frauen erwie- 
dern dann natürlich diesen Ton; Christina sagt von Tauler, der 
beide Schwestern ebenfalls kannte und sie besucht hatte, er sei 
der liebste Mensch, den Gott auf dem Erdreich habe, der Geist 
Gottes wohne in ihm als ein süsses Saitenspiel. 
Ü Charakteristisch ist auch, wie Petrarca, der Sänger der Lanra, die Ehe 
und den Werth der Frauen in Beziehung auf die Ehe auffasst: De reme-diis 
utxiusque fortnnae. Lib. II, dial. 18-21.
	        
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