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Französische
Sculptur.
sich freier ergehen. Die frühere Begeisterung, das Selbstver-
trauen, welches mit künstlerischer Demuth zusammenhängt, ist
nicht mehr; Meister Ravy weiss schon, dass sein Name genannt
werden wird, und darf ihn nicht aufs Spiel setzen. Er hält auch
wohl diese etwas steife und monotone VVeise für schön und
weiss jedenfalls keine andere zu finden. Diese Schwäche ist;
aber nicht der vereinzelte Fehler dieses Meisters, vielmehr be-
gegnen wir derselben Rathlosigkeit, demselben Schwanken zwi-
schen den älteren stylistischeil Prinzipien und einem tieferen Ein-
gehen auf die Natur auch an den Grabsteinen dieser Zeit und
namentlich kann die Gestalt des redlichen und unglücklichen Kö-
nigs Johann C- 1364) in der Gruft von St. Denis in ihrer steifen
Haltung und mit der trockenen und schweren Behandlung der
Gesichtszüge und Hände als Belag dafür dienen.
Unmittelbar nach diesen ersten Spuren der Ermattung der
einheimischen Kunst finden Wir niederländische Künstler in Frank-
reich beschäftigt. In den Berichten über die Ausschmückung des
Louvre, welche der Sohn und Nachfolger eben dieses Königs
Johann, Karl V gleich nach seinem Regierungsantritt begann,
werden uns die Namen vieler Bildhauer und Maler überliefert;
die meisten, wie Jaques de Chartres, Jean de St. Romain-it)
u. a. , scheinen Franzosen, aber neben ihnen kommt ein Jean de
Liege vor, der höher geachtet, wenigstens höher bezahlt ist, als
alle jene. Noch bedeutender scheint ein gewisser Hennequin,
ebenfalls aus Lüttich, gewesen zu sein, welcher schon 1368 an.
dem Grabe arbeitete, welches der noch junge König sich in der
Kathedrale von Rouen stiftete Ein eben so eifriger Mäeen
wie der König War sein Bruder, der Herzog Johann von Berry,
und auch er hatte einen Meister aus den Niederlanden in seinem
Ü Ein Ort St. Romain liegt in der Normandie, und wahrscheinlich stammte
unser Künstler von daher. Er erhielt für eine Statue des Königs 6 Livres 8
sols parisis, Johann von Lüttich aber 16 Livres. Sauval, Antiquitäs de Paris
II, 263, und Guilhermy im Itinäraire de Paris p. 263, und in der Monogra-
phie de St. Denis p. 285.
H") Sein Herz sollte dort bestattet werden. Der Preis des Grabes war auf
die bedeutende Summe von 1000 Livres festgesetzt. Vergl. den Rechnungs-
auszug über eine Abschlagszahlung bei de Laborde, Ducs de Bourgogne II, 1,
pag. XXII.