Die
deutschen
Mystiker.
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habe, er könne und müsse seinem Nächsten das Himmelreich
eher Wünschen, als sich selber. Den wahren Gottesfreunden,
sagt er ein anderes Mal, vcrschmelze das Herz von Minne aller
Menschen, der Lebenden und Todten. Und dies bemerken wir
auch in ihren Briefen; sie sind überfliessend von Liebe, sie
nennen sich mit den zärtlichsten Ausdrücken, selbst Warnungen
und Vorwürfe werden in der mildesten Weise ausgesprochen;
sie sind unter einander immer geneigt, Alles auf das Günstigste
auszulegen. Nicolaus giebt den jungen Brüdern des Strassbilrger
Hauses dazu förmliche Anleitung, indem er sie auf die V erschie-
denheiten der Stimmungen und des 'l'emperamentes hinweist
Auffallend oontrastirt gegen diese Liebeswärme die Kälte
der ehelichen Verhältnisse. Schon Ruolmann lilerswin, der sich
von seiner treuen, ehrbaren Hausfrau, mit der er lange gelebt,
ohne Wider-streben trennt, ist ein Beispiel; indessen geschah es
mit ihrer Einwilligung. Viel stärker ist aber die Geschichte
eines der näheren Genossen des Nicolaus. Nicht blos Ehemann,
wie Ruolmann, sondern auch Vater von vier Kindern, ergreift
ihn der Gedanke, der VVelt zu entsagen. Seine Frau Will aber
nicht einwilligen, sondern misshandelt ihn mit der äussersten
Rohheit , verspottet und lässt ihn verspotten , verbietet sogar den
Kindern, ihm zu gehorchen. Er wendet sich nun an Geistliche,
um sich Raths zu erholen, und endlich an Nicolaus; sie alle
stimmen überein, dass er ausharren müsse, bis Gott über ihn
verfüge, aber keiner kommt auf den Einfall, dass die Bande, die
er zerreissen will, auch ihre Rechte haben und dass er Gott auch
in der Erfüllung seiner hausväterlichen Pflichten dienen könne.
Und so duldet er denn wirklich sechs Jahre lang, bis sich das
Missverhältniss in einer unser Gefühl ziemlich verletzenden
VVeise Wirklich dadurch löst, dass Frau und Kinder an der Pest
sterben und er nun in das Haus des Nicolaus eintritt. Indessen
beruhet diese allseitige Kälte und Rohheit nicht sowohl auf einem
Mangel an Liebeskraft und Wärme überhaupt, als auf einem an-
deren allerdings bedeutenden sittlichen Mangel des Milfelalters,
auf der unvollkommenen Würdigung der Ehe.
In Folge der asketischen Uebersehätzung der Ehelosigkeit
Ü C. Schmidt, Gottesfreunde, S. 126.