Die
Chorschranken
in
N0
VOl]
Paris.
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verschieden ist aber auch der plastische Styl beider Reliefs im
Einzelnen Auf der Nordseite finden wir die schlanke Körper-
biltluitg, die ruhige, selbst etwas steife Ilaltung der Figuren,
die gedrängte Anordnung und lakonische Sprache, die naive An-
deutung verschiedener Localitäten und die Zusammenstellung
von Figuren grösserer und kleinerer Dimension, die Mängel der
Zeichnung aber auch einzelne Züge von überraschender Innigkeit
des Ausdrucks und vom feinsten Gefühl für die Schönheit der
Linie, ganz wie wir es an den besten XVerken des dreizehnten
Jahrhunderts kennen. Auf der Siidseitc dagegen ist alles regel-
mässiger; die neun Bildfelder haben wie gleiche Grösse auch
gleichen, mutenförinig von Goldstreifeil durchzogenen Hinter-
grund, gleiche Bedachuitg mit je sieben zierlichen Baldachinen,
die Figuren sind correcter gezeichnet, alle von gleichen, und
zwar eher kurzen Verhältnissen, die Bewegungen verständlich,
die Compositionen klar und mehr malerisch gedacht. Auch in
den Phantasiespielen, welche hier wie dort die ernsten histori-
schen Gegenstände begleiten, ist eine charakteristische Verschie-
denheit. An der Nordseite sind sie in die Zwickel der Arcadeu
verlegt und zwar so, (lass immer vortrefflich ausgeführtes natür-
liches Blattwerk mit phantastischen 'l'hicrgestalten, Fledermänsen,
kämpfenden Löwen u. dgl. abwechselt. An der Südseite fällt
dieser XVechsel fort, die Zwickel haben die monotone aber regel-
mässige Ausfüllung durch einen Dreipass, 'l'hiergestalten kom-
men nur als Begenrinnen an bestimmten Stellen der Einrahmung
vor, die übrigens eine Fülle anmuthiget- Figürchen, weibliche
Gestalten in koketter Verhüllung oder Consolenträger mit komi-
scher Gebehrtle enthält, alle heiter, graziös, scherzhaft. Auch
das Blattwerk ist hier anders, ohne Anspruch auf Nachahmung
bestimmter Pflanzen, eonventionell gebildet und in stets gleichen
Büscheln, ein rein architektonisches Ornament. Alles ist also
regelmässiger, aber auch matter, weniger kräftig. Bei dieser
durchgängigen stylistisclten und geistigen Verschiedenheit beider
Seiten muss man den Zwischenraum eines Mensehenaltcrs zwi-
schen ihnen annehmen, und also jene nördlichen Reliefs dem
Ende des (lreizehuteti oder höchstens den ersten Jahren des vier-
zehnten Jahrhunderts und nur die südlichen dem Meister Ravy