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Französische
Kunst.
sind die Weiblichen und zarten Gestalten und Motive, die Anmuth
der jugendlichen Heiligen, ihre Standhaftigkeit bei den Martern,
die man über sie verhängt, die Empfindungen ihrer Zuhörer, das
Lauschen ihrer treuen Dienerin an
l " ihrer Kerkerthüre (deren Gestalt die
Igätgo : beigefügte Zeichnung giebt), das
I _ Tasten des blinden Greises, der,
l i. durch einen Traum belehrt, von sei-
1, m j nein Knaben geführt, im Walde die
lllt, I Grabstätte sucht, alles ist höchst
Wahr und anziehend dargestellt.
f, T Es ist interessant, diesen Codex
i "T von 1314 mit dem um dieselbe Zeit
W und mit ganz ähnlicher Bestimmung
im f", j in Deutschland gemalten Passionale
lt, der Prinzessin Kunigunde, das wir
i) 7. oben kennen lernten, zu vergleichen.
Y Sehen wir auf Abrundung der Form
Es) 32T "l mit" und Harmonie der Farbe, so hat das
lÄ-r J französische Werk unbedingt den
Vorzug; bei allen Mängeln der
Zeichnung kommen so grosse Härten wie dort nicht vor. Aber
freilich ist es auch Weit entfernt von der Tiefe des Gefühls und
selbst von der Schönheit der Linie, die wir dort entdecken. Auch
sind die Compositionen des Prager Künstlers viel figurenreicher,
die Gesichter enthalten mehr Details, die Falten der Gewänder
fallen viel gedrängter und endigen mit dem bedeutsamen Schwunge
des langen Gewandes. Wir fühlen überall den Drang noch mehr,
noch Tieferes auszusprechen, und glauben die Arbeit eines noch
unausgebildeten, aber hoch begabten Künstlers vor uns zu haben,
der die höheren Ziele der Kunst Wenigstens ahnet und erstrebt,
während die französischen Miniaturen mehr einem vornehmen
Dilettantismus entsprechen, dem Leichtigkeit und Eleganz der
Form über alles gehen.
Sehr zahlreiche französische llliniaturcn und unter ihnen
mehrere, deren Entstehungszeit sich auch durch äussere Beweise
feststellen lässt, zeigen dass diese Weise sich bis um die Mitte