Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Die Spätzeit des Mittelalters bis zur Blüthe der Eyck'schen Schule (Bd. 6 = [2], Bd. 4)

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Religiöse 
Zustände. 
Ueberhaupt sieht man, wie diese neue, innerliche Fröm- 
migkeit, diese selbstständige Asketik der Seele zu manchen mo- 
ralischen Gefahren, aber auch zu einer tieferen Kenntniss des 
menschlichen Herzens führte. Sehr nahe lag die Gefahr des 
Versinkens in müssige und gefährliche Selbstbetrachtungen und 
Selbstquälereien, und von Anfang an finden wir die Gottes- 
freunde beschäftiget, davor zu warnen. Eckhardt predigtzu Gun- 
sten der Martha, Tauler spricht sich oft und stark in ähnlichem 
Sinne aus. So lange der Mensch noch „Materien", äussere Auf- 
gaben, habe, dürfe er nicht ruhen; wer sich Ledigkeit annehme, 
ehe er alle äusserlichen VVerke ausgewirkt habe, suche eine 
Müssigkeit, die wider Gott sei. Selbst der Mensch, der zu voll- 
kommenem Leben gelangt sei, solle die niederen Kräfte nicht 
ruhen lassen, sonst ginge der heilige Geist heraus und ungeord- 
nete Freudigkeit würde geboren. Noch deutlicher zeigt das 
Leben der Gottesfreunde, die Stiftung von Häusern gemein- 
samen Lebens, die Theilnahme an den öffentlichen Angelegen- 
heiten, die fast unruhige Geschäftigkeit des Reisens und Scl1rei- 
bens, dass sie es nicht auf müssige Beschaulichkeit abgesehen 
hatten. Dazu liess es schon die Seelenstimmung nicht kommen, 
auf die sie den höchsten Werth legten, die Liebeswärm e, die 
Minne. Tauler nennt sie das Edelste und Wonnigste, wovon 
man sprechen, das Nützlichste, was man lehren könne. Sie 
ersetzt alles Andere, namentlich die sonst in diesen Kreisen 
hochgehaltenen geistlichen Uebungen und Büssungen. YVachen, 
Fasten, härene Hemden, Itlartliegen, lehrt schon Eckhardt f], 
sind erfunden, weil der Leib wider den Geist streitet und ihm zu 
stark ist. YVillst du ihn aber tausendmal besser fahen und be- 
laden, fügt er hinzu, so lege ihm an den Zaum und das Band der 
Liebe, mit der überwindst du ihn allerschierest und beladest ihn 
allerschwerst. Und diese Liebe ist nicht etwa blos Liebe Gottes, 
Sondern auch des Nächsten; denn, sagt 'l'auler, du hast die 
Liebe Gottes nicht eher, bis du findest, dass du deinen Nächsten 
liebst. Diese Nächstenliebe kennt fast kein Maass. Tauler er- 
zählt von einem wunderbar heiligen Manne, der ihm gesagt 
3') Pfeiffer a. a. O. II, Q9. Tauler scheint (nach Neander Kirchengesch. 
VI, 508-) die Worte seines Meisters wiederholt zu haben.
	        
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