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Deutsche
Sculptur.
mit den Grabsteinen an, so werden wir mehrere Klassen un-
terscheiden müssen. Zunächst giebt es viele, welche die Vor-
züge des älteren Styles, also die grössere Ruhe und das archi-
tektonische Formgefühl vollständig bewahren, zugleich aber
grössere natürliche Anmuth und höhere Belebung zeigen, also
entschieden gewinnen. Besonders gilt dies von Weiblichen Grab-
bildern, welche mit den langen, ruhig fallenden Gewändern, mit
(len lieblichen, jugendlichen Zügen des nonnenhaft umhüllten
Hauptes oft ein rührendes und anziehendes Bild der Demuth,
Milde, Innigkeit, Andacht geben. V orzügliche Beispiele dieser
Art sind einige Idealbilder , Gräber von heiligen oder fürstlichen
XVohlthäterinnen lange nach ihrem Tode gemacht; so die der h,
Anrelia und Hemma in St. Emmeran in Regensburg, die wohl
nicht dem dreizehnten Jahrhundert, sondern dem Anfange un-
serer Epoche zuzuschreiben sind, das der h. Gertrudis in Alten-
burg an der Lahn vom Jahre 1334 das der Kaiserin Anna,
Gemalin Rudolph von Habsburg, im Dome zu Basel, erst nach
dem Erdbeben vom Jahre 1356 endlich das der Kaiserin
Editha im Magdeburger Dome, erst im Anfange des fünfzehnten
Jahrhunderts gefertigt. Aber auch auf gewöhnlichen Gräbern
haben die Frauen oft dieselbe ideale Haltung und Anmuth; so
auf dem Grabe eines fürstlichen Ehepaares in der Elisabethkirche
zu Marburg, wahrscheinlich des Landgrafen Heinrich des Eiser-
nen und erst vom Jahre 1376 ikißlt), an der Gattin des Rudolph
Ziegler in der Barfüsserkirche zu Erfurt vom Jahre 1370, und
an vielen anderen, die oft vernachlässigt und von den Fusstritten
halb zerstört uns noch mit ihrer milden Frömmigkeit rühren.
Auch unter den männlichen Grabsteinen finden sich einzelne, wie
der aus dem Clarakloster zu Mainz nach Wiesbaden gelangte
des Grafen Diether von Katzenelnbogen, 1- 1315 welche
bei voller portraitartiger VVahrheit des Kopfes durchaus würdig
und stylvoll behandelt sind. Bei den meisten männlichen Bildern
Ü) Müller, Beiträge II, Taf. 19.
H) Eine, leider sehr schlechte Abbildung in der 1842 bei Hassler in Basel
herausgekommenen Beschreibung der Münsterkirche.
Müller, Denkmäler, Band II, Taf. XVIII.
T] Müller, Beiträge, I. Taf. XVII.