Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Die Spätzeit des Mittelalters bis zur Blüthe der Eyck'schen Schule (Bd. 6 = [2], Bd. 4)

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Religiöse 
Zustände. 
Die mystischen Gedanken, die wir bei Tauler, Ruolman 
und Nicolaus finden, sind im Wesentlichen dieselben, wie bei 
Eckhardt, nur dass ihre Auffassung theils praktischer ist, theils 
eine Steigerung enthält. Eckhardt ist noch vollkommen Schola- 
stiker, er giebt gern die Distinctionen und Definitionen der 
Schule, auch wohl lateinisch in der deutschen Predigt, und er- 
zählt von spitzfindigen Fragen, die in den Hörsälcn von Paris 
aufgeworfen sind. [Tnter jenem Zurückziehen der Seele aus den 
"Kräften" scheint er nur einen Act des Denkens oder des inner- 
sten W ollens, keinesweges ein äusserlich sichtbares Thun zu 
verstehen. Von Fasten und Pönitenzen hält er nicht viel; die, 
welche dadurch geistliche Armuth zu erlangen suchen, sagt: er 
ein Mal , werden für heilig gehalten; dass Gott erbarm, sie sind 
innerlich Esel. 
'l'auler dagegen ist kein Freund der Scholastik. Die grossen 
Meister von Paris, sagt er, die lesen die grossen Bücher und 
kehren die Blätter um, aber die frommen, beschaulichen Men- 
schen die lesen das Buch, da alles innen lebt, und das ist besser. 
Gegen die "Schreiber", die „Pharisäer", die „subtilen Geister, 
die mit vernünftigen Worten gloriren", zieht er oft zu Felde. 
Gott mit der Vernunft suchen, lehrt er, ist wohl gut, aber nicht 
genug, denn sie bleibt "mit Eigenschaft", sucht das Ihre. Daher 
muss sie dann erst von Neuem anfangen, von allen Creatxiren, 
von sich selbst sich abwenden. Und nun nimmt er die Phantasie 
seiner Zuhörer in Anspruch, um sich einen Zustand höchster 
Abstractioil auszumalen, in dem alle Unterschiede aufhören, kein 
lTillen, kein Begehren, nicht einmal das nach der ewigen Se- 
ligkeit bestehen bleibt. In diesem Zustande, den er Schweigen, 
Leiden, Armuth, Lcdigkeit nennt, den er auch Wohl mit dem 
VV orte: Entwerden bezeichnet, kann Gott seinen Einzug in 
die Seele halten, dass in ihr das Leben der "Schauliehkeit" be- 
ginne. Schon bei ihm erscheint dies fast wie ein äusseres, sinn- 
liches Erlebniss, dessen stufenweises Fortschreiten zeitlich ab- 
gemessen werden kann; und noch mehr tritt dies bei den beiden 
Laien heraus. Sie haben die Arbeit des Entwerdens nicht bloss 
geistig, sondern auch körperlich durchgemacht, theils durch 
Büssuirgen, Fasten, Züehtigungen, theils durch Krankheit und
	        
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