Pommern.
511
umfassenden Symbolik der vorigen Epoche, sondern eine spitz-
{indige Allegorie, welche das Privilegiunl der Geistlichkeit an-
schaulich machen soll. Aber der Künstler hat so viel Geist und
Schönheit hierin verwoben, dass er uns alles Anstössige ver-
gessen macht. Das Ganze ist in flachenl, zartem Relief mit der
klaren edlen Linienführung des idealen Styls, dabei aber sind die
Einzelheiten durchaus schon mit feinstem Gefühle und mit be-
wusster Charakteristik ausgebildet. Das Christkind ist von be-
wundernswerther Schönheit, die Apostel sind würdige Gestalten,
die Kirchenväter wahre Kirchenfürsten in zugleich demuthsvoller
und doch vornehmer Haltung, die das Abendmahl empfangenden
Geistlichen und Laien mit höchst individuellen Verschiedenheiten
lebenswahr und interessant dargestellt, und alle dabei mit dem
Ausdrucke liebensivürdiger Innigkeit. Auch die Farbe ist mit
einer bei Werken dieser Art ungewöhnlichen Feinheit abgestuft
und trägt wesentlich zu dem günstigen Eindrücke beiö). DHSS
diese Vorzüge nicht unveräusserliches Eigenthum der Schule
waren, zeigen schon die Aussenflügel, auf welchen acht Momente
der Passionsgeschichte ohne Zweifel gleichzeitig und auch im
Wesentlichen mit verwandten Motiven, aber viel roher und hand-
werksmässiger gebildet sind. Aber ebensowenig ist die Schön-
heit des Mittelschreines völlig vereinzelt, da mehrere andere
WVerke von ähnlicher Bedeutung und Wie dieses noch im Style
des vierzehnten Jahrhunderts in dieser Gegend vorkommen. Ein
Beweis, wie sehr diese Technik hier beliebt war, und zugleich
ein in seiner Art einziges Monument ist das in der Kirche zu
Kcnz bei Barth noch bewahrte Grabbild des im Jahre 1405 ver-
storbenen Herzogs Barnim VI. von Barth, welches in Eichenholz
geschnitzt und wie gewöhnlich auf einem Kreidegrunde voll-
ständig bemalt die Gestalt in Lebensgrösse in reicher fürstlicher
Tracht der Zeit und mit anscheinender Portraitähnlichkeit zeigtgf).
Ü) Die vortreffliche Herstellung des Werkes durch die Gebrüder Holbein
(Bildhauer und Maler) zu Berlin gab zugleich den hiesigen Kunstfreunden die
erwünschte Gelegenheit, es kennen zu lernen.
"Ü Vergl. Näheres nach der Beschreibung Bartho1d's in seiner Geschichte
von Pommern und Rügen in dem angeführten Aufsatze im Deutschen Kunstbl.
1855, S. 56.