32
Religiöse
Zustände.
steiung begann. Er ging dabei so weit, dass 'l'auler, sein
Beichtvater, „seines Hauptes", also für seine körperliche und
geistige Gesundheit, fürchtete, und ihm diese Uebungen für eine
gewisse Zeit untersagte. Dann begann er den Kampf aufs
Neue; er ringt mit Krankheit und allerlei Anfechtungen, er betet
Tag und Nacht; er unterwirft sich Gottes Willen, bittet ihn,
sich nicht an sein VViderstreben zu kehren, nicht zu thun, was
seine arme sündige Dlatm begehre Bald wirft ihm der 'l'eufel
alle seine grossen und kleinen Sünden, versäumte Zeit und
schwache Minne vor, und entzündet ihn zu solchem Hass gegen
seinen Leichnam, dass er denselben bis auf das Blut geisselt.
Dann kommen aber Wieder übernatürliche Freuden, die so über-
sehwenglich gross sind, ilass sie über die sinnliche Vernunft
hinausgehen. Und dies whlinnespiel" trieb, wie Ruolman in der
Beschreibung der „vier Jahre seines anfangenden Lebens" er-
zählt, unser lieber Ilerre gar viel mit ihm, bis er dann endlich
zue innerem Frieden gelangte, wo er, von nichts Irdischem mehr
angefochten, sein beschauliches Leben mit wachsender Glau-
bens- und IaiBbCSkrilFl tbrtsetzte. Bald darauf schrieb er ein
mystisches Buch: „die neun Felsen", in welchem er die dama-
lige Verderbniss der Christenheit schildert; die neun Felsen sind
nämlich Stufen der Reinigung, auf welchen Einzelne empor-
klimmen und sich so vor den Angriffen des bösen Feindes
retten, der im 'l'hale die Menge des Volkes in der Fluth ihrer
Sünden unter gewaltigem Netze gefangen hält. Man Würde es
für eine künstlich ersonnene Allegorie halten, der Verfasser
stellt es aber, ohne Zweifel mit Lleberzeugung, als ein Gesicht
dar, welches ihm von Gott ungeachtet seines furchtsamen Wi-
(ierstrebens geworden, und das er „von Gott bezwungen" nie-
derschreiben müssen. Einige Jahre später öffnet sich ihm eine
andere 'l'hätigkeit; 'l'räu1ne und Visionen, die nicht blos ihm,
4'] Ich kann mir nicht versagen, das schöne Gebet mit Ru0lman's eigenen
Worten hieher zu setzen: Min herre und min gott, mine natuoren ist dis
leiden gar widerwvertig, harumbe so bitte ich dich, dass du dich nut daran
kerest und dass du nut duost also mine arme sundige natuore heissende oder
begerende ist, follebring du dinen allerliebesten willen, es si miner natuoren
liep oder leit, es tuon ir wol oder we. Schinidt, Gottßsfreuxlde.