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Bliniaturmalerei.
haben. Es blieb daher dem Talente fast nichts übrig, als die
möglichst treue und anmuthige Darstellung der einzelnen Sinn-
liehen Gegenstände, die auf dem Bilde vorkamen oder angebracht
werden konnten. Dies war eine neue und zugleich, da ja über-
haupt das Streben der Gesellschaft auf nähere Kenntniss ihrer
selbst und ihrer Umgebungen gerichtet war, eine überaus dank-
bare Aufgabe, der sich die Künstler mit steigendem Interesse
unterzogen. Sie begannen damit, die edelen Stoffe und Kostbar-
keiten, auf welche die vornehme Welt Werth legte, Goldbrokat,
Edelsteine, Perlen, dann auch andere liebliche Gegenstände, etwa
Blumen und Früchte, in möglichster Treue darzustellen, bekannte
Localitäten und Gebäude anzudeuten, den Zimmern den Charakter
häuslicher Behaglichkeit zu geben, dann auch an den Gestalten
gefällige Lebendigkeit und sinnliche Anmuth, sogar an dem an-
betenden Stifter des Buches eine grössere Portraitähnlichkeit her-
vorzubringen, und waren am Schlusse der Epoche so weit ge-
langt, wirkliche Bilder mit landschaftlichen Hintergründen aus-
zuführen, wobei dcnn überall die Kleinheit der Dimensionen das
Wagniss erleichterte. Die Miniaturmalerei hatte dadurch ihren
Culminationspunkt erreicht und es entstanden Bilder von einer
Feinheit des Geschmacks und der Durchführung, wie sie nur in
einigen Miniatur-werken der Eyckischen Schule, dann aber auch
niemals Wieder übertroffen sind. War man nun auch vom blossen
Luxus ausgegangen, so machte man doch die Erfahrung, dass die
Vertiefung in den Glanz und in die Vollkraft der Natur auch
einen poetischen und geistigen Virerth habe, dass sie jedenfalls
eine Erweiterung der Kunst gäbe. Da die Tafelmalerei, wenn
auch in anderer Beziehung fortgeschritten, in dieser unleugbar
zurückstand, so war die Aufgabe der Zukunft offenbar, die Vor-
züge beider Kunstgattungen zu verbinden. Schon am Schlusse
der Epoche können wir einzelne Tafelbilder aufzeigen, welche
den Miniaturen nachstreben, indem sie eine feinere Harmonie und
grösseren natürlichen Liebreiz zu erlangen suchen und ihren Bil-
dern auch ungeachtet des goldenen Himmels einen Hintergrund
von Bergen mit Gebäuden oder Bäumen geben. Allein es zeigte
sich, dass dies ziemlich unbeholfen ausfiel und mit der statuari-
scheu Haltung der einzelnen Gestalten, ja selbst mit der Technik