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Einleitung.
der bisherige, weil er nicht mit kindlicher Gläubigkcit zusam-
menhing und nicht unter der vorsichtigen Controlle der Kirchß
stand, sondern sich in das Gewand tiefer Gelehrsamkeit hüllte
und mit Anmaassung auftrat.
Immer mehr gingen Kirche und Wissenschaft auseinander_
Die Kirche selbst hatte den Anfang gemacht; noch während die
Scholastik ihr nur zu dienen bestrebt war, zog sie sich von dem
geistigen Gebiete zurück, um sich auf äussere Autorität zu
stützen. Medicin und weltliches Recht hatte sie ihren Dienem
schon längst untersagt, und unter den Seholastikern finden wir
selten Priester, meist nur Laienbrüder. Seit den Albigenser-
kriegen wurde auch das Bibellesen beschränkt und die Anwen-
dung gewaltsamer Mittel zur Unterdrückung der Ketzereieil sy-
stematisch betrieben. Damit hörte das Interesse höherer Studien
Hir die Geistlichkeit auf, sie machte nicht mehr auf geistiges
Uebergewicht, sondern nur auf äusseres Ansehen Anspruch, sie
war vermöge ihrer ausgedehnten Immunitäten ein bevorzugter
Stand neben anderen Privilegirten. Und wie die Rechte wurden
dann auch die Pflichten äusserlieh aufgefasst, die Theologie
wurde Gedächtnisssache , der Gottesdienst, bis ins Kleinste be-
stimmt und mit Ceremonien überladen, eine Sache mechanischer
Uebung. Während aber so die Kirche in ihrer Verweltlichung
fortschritt, war aus inneren Gründen durch die nothwendige
Entwickelung des Gedankens die Scholastik immer weiter von
der Kirchenlehre auf das Gebiet allgemeiner Abstraction überge-
gangen, und zuletzt durch das Aufgeben tieferer Ergründung der
Offenbarung ganz auf weltliches Gebiet gedrängt. Beide hatten
sich also nach verschiedenen Seiten von einander entfernt, und
statt der ursprünglichen Einheit zeigte sich jetzt der Gegensatz.
Die Kirche versuchte auch hier mit Gewalt einzuschreiten, übte
eine Art von Censur über die Lehrvorträge brachte aber ge-
rade dadurch die Wissenschaft in eine Opposition, so dass sie
nun bald überall ihre Stimmen erhob, um die Anmaassungen der
Kirche zurückzuweisen und ihre Reform in Haupt und Gliedern
zu verlangen.
1339 wird in Paris verboten, über Occams Lehrbücher zu lesen.
Tennemann, Gesch. der Phil. VIII, 938.