Gewerblicher
Betrieb.
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türlich freier; zuweilen machte ihm zwar der Verfasser, wenn
derselbe auch die Ausmalung seiner Handschrift leitete, aus-
drückliche Vorschrifteuilt), in der Regel aber blieb es dem Maler
überlassen, in welcher Weise er den Inhalt der Stelle auffassen
wollte. Allein die Grösse und die Beziehungen des Bildes hingen
doch immer von den Lücken der Schrift ab, so dass der Schreiber
eigentlich die Grundlage der gesammten Arbeit lieferte und sich
deshalb zu einer durchgreifenden Oberleitung des Ganzen am
Besten eignete. Auch durfte man bei ihm noch zuerst das nö-
thige Verstäudniss des zu illustrirenden Werkes voraussetzen.
Daher finden wir denn auch gewöhnlich die Scriptores als Unter-
nehmer, bei welchen die Bücher mit Einschluss der Miniaturen,
ja selbst einzelne Bilder in bereits vollendeten Handschriften
bestellt werden. Zuweilen kommt es Wohl vor, dass ein ausge-
zeichneter Illuminator auch den Auftrag erhalten hat, die Schrift
nämlich in der feinsten, leicht zu übersehenden Schrift die Worte: Vesci la
piece ou le sautier doit estre et annet le quart fellet (siehe hier das Heft, in
welchem der Psalter sein wird und er ist darin auf dem vierten Blatte). Wirk-
lich folgt auf dem vierten Blatte der Psalter, und der Rubricator hat nicht un-
terlassen, sich nach der Vorschrift zu richten.
f) So ist es in einem Codex allegorisch-moralischen Inhalts in der Am-
brosianischen Bibliothek in Mailand, welcher laut Inschrift von einem Domini-
caner, Bruder Lorent, für König Philipp von Frankreich im Jahre 1279 ver-
fasst ist, indem immer am Schlusse jedes Abschnittes die Figuren, welche ge-
malt werden sollen, vorgeschrieben sind, z. B.: Ici doit estre pointe proußsSß
et peresse, David e Golias. Einmal indessen hat der Verfasser nur drei Bilder
genannt, die allegorischen Figuren von Keuschheit und Wollust und "joseph
qui 11a la fole dame". Er hat sich also wohl gedacht, dass beide Figuren
dieser Scene getrennt werden könnten, um so die sonst vorkommende Vierzahl
zu erlangen. Der Maler hat dies aber für unthunlich gehalten und deshalb aus
eigener Machtvollkommenheit noch einen zweiten, passenden historischen Ge-
genstand hinzugefügt, nämlich Judith und Holofernes.
i") In den Rechnungen der Grafen von Savoyen ist im Jahre 1398 eine
Zahlung notirt: A Huguet lescrivain de Paris pour avoir fait es matines de
Monseigneur certayues ystoires dor tln et azur. (Gibrario, economia politica,
II, 342.] In einer Handschrift der Pharsalien des Lucanus in der kaiserlichen
Bibliothek zu Wien findet sich mit der Jahreszahl 1338 die Notiz: Hoc opus
factum fuit per Martinum de Trieste in scolis magistri Bonaventurae scrip-
toris de Verona. (Endlicher Catalogus codd. mss. bihliothecae palatinae Vin-
dobonensis. Tom. I, pag. 89.) Hier haben wir also einen Schreihermeister,
welcher selbst für die Schrift Gesellen hält und eine förmliche Fabrik (scola) hat.