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Plastik.
Kunst nur die schon typisch ausgeprägten Gestalten unmittel-
barer Andacht und auch bei diesen nur die Erregung frommer
und besonders sanfter, beruhigender Gefühle. Die Gelegenheit
zur Ausbildung neuer Charaktere und Gedanken war also der
Kunst so gut wie entzogen, und selbst unter den hergebrachten
Gestalten des Glaubens war sie vorzugsweise, ja fast ausschliess-
lich auf das WVeiche, Zarte, Weibliche angewiesen. Die Gestalt
der jungfräulichen Gottesmutter war so sehr das höchste Ziel der
Kunst, dass alles Andre sich ihr unterordnete, möglichst ihr ent-
sprechend gestimmt sein musste. Für die Malerei war dies nicht
im gleichen Grade nachtheilig; sie konnte sich freier bewegen,
entweder die Vorstellung himmlischer Freude und Seligkeit wei-
ter ausbilden, welche sich zwar an den Begriff der milden, schö-
nen Gnadenspenderin knüpfte, aber in der sie doch nur der Mit-
telpunkt, nicht alles in allem war, oder das ebenfalls weibliche
Element des weichen, in Rührung auflösenden Schmerzes tiefer
erfassen, die Gestalt des leidenden Erlösers mehr in die Mitte
rücken. Die Plastik war zu dieser Tiefe des Gefühlsausdruckes
noch nicht reif und musste sich begnügen, jene weichen herrschen-
den Gefühle an den ruhigen Gestalten und besonders an der Gestalt
der Jungfrau immer stärkerund befriedigenderauszudrücken. Diese
Einförmigkeit der Aufgaben war nun zwar nicht völlig so nach-
theilig, wie es der Ungeduld unserer Tage erscheint; sie schärfte
vielmehr den Blick und lehrte die Künstler in diesem engen Kreise
immer mehr in die Tiefe zu gehen, wie denn wirklich einige die-
ser Madonnen von ausserordentlieher Schönheit sind. Aber in
Verbindung mit der zünftigen Stellung der Kunst führte sie doch
dahin, sie gegen die günstige Einwirkung neuer Gedanken zu
verschliessen und in einer untergeordneten Sphäre festzuhalten.
Dazu kam denn endlich, dass die Sculptur bei ihrem engen Zu-
sammenhnnge mit der Baukunst auch durch ihren Verfall litt und
den Sinn für die Schönheit der Linien und Verhältnisse, für
Massen und Beleuchtung, für die Unterordnung des Einzelnen
unter das Ganze mehr und mehr einbüsste.
Indessen traten diese Mängel doch hauptsächlich nur bei
grösseren Statuen, welche auf architektonische und religiöse
Würde und Feierlichkeit Anspruch machen, hervor, während an