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Plastik.
teinische Christenheit verschrieb; die frühesten Beispiele, die
wir haben, gehören erst der Mitte des Jahrhunderts an. Jeden-
falls hängt ihre Entstehung mit der wachsenden Verehrung der
geweiheten Hostie zusammen, welche, als eine Folge der Lehre
von der Wandelung, die Veranlassung zu jenem bedeutsamen
Feste gewesen war. Man brauchte nun ein Gefäss, welches den
Leib des Herrn zugleich in würdiger Weise bewahrte, und doch
gestattete, ihn bei Umzügen oder vom Altare den Gläubigen zu
besonderer Verehrung zu zeigen. Die romanische Kunst mit ihren
verhüllenden Formen war dazu nicht geeignet, der gothische Styl
wie dazu geschaffen; die Entwickelung des Cultus und die der
Kunst, obgleich jede durch eigene, innere Gesetze bedingt, trafen
also, wie so oft, fast wunderbar zusammen. Ein 'l'hürmchen im
Sinne des reichen gothischen Styls, welches das Glasgefäss der
Hostie umgab, an seiner Spitze etwa durch die Statuette der Jung-
frau mit dem Kinde oder durch die Kreuzigung geschmückt,
dann zu zwei Seiten von Strebepfeilern oder kleineren, durch
Bögen verbundenen 'l'hürmchen begleitet, dies alles auf einen zum
Halten und Emporheben geeigneten Fuss gestellt, entsprach aufs
Glänzendste den Zwecken dieser neuen Andacht a). Je mehr die-
selbe wuchs, desto reicher, desto luftiger musste dieses kleine
Bauwerk aufsteigen, desto mehr mussten aber auch die anderen
Altargeräthe ihm nachstreben, so dass ähnliche architektonische
Formen auch für sie nothwendig wurden. Für kleinere Schmuck-
sachen waren diese nun zwar nicht anwendbar, wohl aber hatte
die Neigung für feinere Form und scharfe eckige Bildung auch
auf sie einen entscheidenden Einfluss.
In Beziehung auf die Gestaltung der Figuren, bei der
natürlich diese kleineren Kunstzweige ganz der höheren Plastik
folgen und daher mit ihr gemeinsam zu betrachten sind, sind ge-
wisse Fortschritte nicht zu verkennen. Die Züge werden leben-
diger, die Bewegungen freier und anmuthiger, der Ausdruck
milder, das Verständniss des Körpers wächst anhaltend, wenn
auch langsam. Die Sculptur konnte sich nicht mit der blos an-
deutenden Behandlung der Form begnügen, ihre Technik selbst
3'] Eine ausgezeichnet schöne Monstranz aus Kempen publicirt neuerdings
Dr. Ernst aus'm NVerth im zweiten Bande seiner rheinischen Bildwerke.