Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Die Spätzeit des Mittelalters bis zur Blüthe der Eyck'schen Schule (Bd. 6 = [2], Bd. 4)

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Plastik. 
teinische Christenheit verschrieb; die frühesten Beispiele, die 
wir haben, gehören erst der Mitte des Jahrhunderts an. Jeden- 
falls hängt ihre Entstehung mit der wachsenden Verehrung der 
geweiheten Hostie zusammen, welche, als eine Folge der Lehre 
von der Wandelung, die Veranlassung zu jenem bedeutsamen 
Feste gewesen war. Man brauchte nun ein Gefäss, welches den 
Leib des Herrn zugleich in würdiger Weise bewahrte, und doch 
gestattete, ihn bei Umzügen oder vom Altare den Gläubigen zu 
besonderer Verehrung zu zeigen. Die romanische Kunst mit ihren 
verhüllenden Formen war dazu nicht geeignet, der gothische Styl 
wie dazu geschaffen; die Entwickelung des Cultus und die der 
Kunst, obgleich jede durch eigene, innere Gesetze bedingt, trafen 
also, wie so oft, fast wunderbar zusammen. Ein 'l'hürmchen im 
Sinne des reichen gothischen Styls, welches das Glasgefäss der 
Hostie umgab, an seiner Spitze etwa durch die Statuette der Jung- 
frau mit dem Kinde oder durch die Kreuzigung geschmückt, 
dann zu zwei Seiten von Strebepfeilern oder kleineren, durch 
Bögen verbundenen 'l'hürmchen begleitet, dies alles auf einen zum 
Halten und Emporheben geeigneten Fuss gestellt, entsprach aufs 
Glänzendste den Zwecken dieser neuen Andacht a). Je mehr die- 
selbe wuchs, desto reicher, desto luftiger musste dieses kleine 
Bauwerk aufsteigen, desto mehr mussten aber auch die anderen 
Altargeräthe ihm nachstreben, so dass ähnliche architektonische 
Formen auch für sie nothwendig wurden. Für kleinere Schmuck- 
sachen waren diese nun zwar nicht anwendbar, wohl aber hatte 
die Neigung für feinere Form und scharfe eckige Bildung auch 
auf sie einen entscheidenden Einfluss. 
In Beziehung auf die Gestaltung der Figuren, bei der 
natürlich diese kleineren Kunstzweige ganz der höheren Plastik 
folgen und daher mit ihr gemeinsam zu betrachten sind, sind ge- 
wisse Fortschritte nicht zu verkennen. Die Züge werden leben- 
diger, die Bewegungen freier und anmuthiger, der Ausdruck 
milder, das Verständniss des Körpers wächst anhaltend, wenn 
auch langsam. Die Sculptur konnte sich nicht mit der blos an- 
deutenden Behandlung der Form begnügen, ihre Technik selbst 
3'] Eine ausgezeichnet schöne Monstranz aus Kempen publicirt neuerdings 
Dr. Ernst aus'm NVerth im zweiten Bande seiner rheinischen Bildwerke.
	        
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