Goldschmiedekunst.
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In der Goldschmiedekunst trat in dieser Epoche inso-
fern eine nicht unbedeutende Veränderung ein, als sie sich endlich
entschloss, die romanischen Formen, welche sie bisher noch theil-
Weise beibehalten hatte, völlig aufzugeben und der allgemeinen
Vorliebe für gothische Architektur zu huldigen. Man kann nicht
behaupten, dass dies unbedingt zu ihrem Vortheil ausfiel. Der
romanische Styl ist allgemeiner, auf jedes Material gleich an-
wendbar, einfacher in der Zeichnung und doch wieder des gröss-
ten Reichthums fähig; der gothische trägt dagegen das entschie-
dene Gepräge des Steinbaues und giebt kein anderes Princip der
Formbildung, als das architektonischer Construction. Er be-
schränkte daher die Freiheit des Goldarbeiters, entzog ihm eine
Menge decorativer Mittel und liess ihm nur die Nachahmung ar-
chitektonischer Details. Grössere Werke, besonders das Kirchen-
geräth, nahmen daher nun so viel wie möglich die Gestalt gothi-
scher Gebäude an; die grossen Reliquienkisten wurden zu Kathe-
dralen in Miniatur mit Kreuz- und Seitenschiifen, kleinere Ge-
räthe des geringen Umfanges halber meist thurmartig gebildet,
aber auch sie immer so viel wie möglich von dem leichten Strebe-
werk freistehender, mit Fialen bekrönter, durch Bögen mit dem
Hauptkörper des Gefässes verbundener Pfeiler begleitet und mit
Nachahmungen des Fenstermaasstiverks verziert. Da man den
Reichthum der Details, der in der Architektur selbst auf grosse
Dimensionen vertheilt ist, nicht aufgeben wollte, hatte die Kunst
des Goldschmidts Gelegenheit, sich in überaus feiner und minu-
tiöser Behandlung zu zeigen, die dann freilich aber auch viele
scharfe Ecken und dünne Spitzen gab und den Sinn im Gegen-
satze zu der einfachen Rundung und der vollen geschlossenen
Form romanischer Gefässe ausschliesslich an das Künstliche,
Complicirte und Durchbrochene gewöhnte. Diese Richtung erhielt
eine Unterstützung dadurch, dass sie für eine Gattung kirchlicher
Gefässe, welche erst jetzt in Aufnahme kam und ein Gegenstand
von besonderer VVichtigkeit wurde, höchst passend War, ilämlich
für die Monstranzen. Man darf annehmen, dass sie erst einige
Zeit nach dem Jahre 131i üblich wurden, wo Clemens V. das
bereits im dreizehnten Jahrhundert in einigen Gegenden gefeierte,
von Urban IV. genehmigte Frohnleichnamsfest für die ganze 1a-