Scholastik.
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keit den Boden. Aber für den Augenblick traten doch gewisse
nachtheilige Folgen hervor, die wir schon (leshalb näher bei-
trachten müssen, Weil sie auf den Formensmn einwirkten. Die
Vorliebe für den formellen logischen Schluss lähmte die Gabe
der Beobachtung lllld Erfahrung, die ohnehin im Mittelalter so
Wenig geübt war, noch mehr als bisher. Man glaubte SelbSt
die alltäglichsten Wahrheiten nicht anders, als in der Form des
Sclilusses aussprechen zu dürfen, verlor darüber die Zuverswllt
unmittelbarer Gewissheit und Ueberzeugung, und gerietll in 91116
hohle und kaum erträgliche Weitschweiügkeit, die nicht einmal
durch Gründlichkeit entschädigte, sondern vielmehr auf vielen
Punkten eine gefährliche Verwirrung der Begriffe erzeugte. Der
logische Schluss setzt nnzweifelhafte Prämissen voraus, wie sie
die 'l'heologie an den Glanbenslehren, die Mathematik an den
Axiomen hat. Bei den Fragen des praktischen Lebens hätte man
daher, wenn man nicht jedes Mal auf die tiefsten Gründe der
Dinge zurückgehen wollte, sich auf allgemein anerkannte Wahr-
heiten concreter Art stützen müssen. Diese besass man aber in
dieser Anfangszeit empirischer Wissenschaft nur in so kleiner
Zahl und von so allgemeinem Inhalte, dass sich darauf keine
anwendbaren Schlüsse gründen liessen. Auch wagte man noch
nicht, sich auf die eigene Erfahrung zu berufen, sondern glaubte,
wie man es bisher gethan, sich auf höhere Autoritäten stützen
zu müssen. Die heilige Schrift und die Kirchenväter reichten
aber für die moralischen, völkerrechtlichen, naturwissenschaft-
lichen Fragen, mit denen man es jetzt zu thiin hatte, nicht aus,
man wendete sich daher wieder mehr der beim ersten Auf-
kommen der Scholastik vernachlässigten antiken Literatur zu, da
nur sie so berühmte und anerkannte Namen gewährte, dass man
sie in Gesellschaft der heiligen Schriftsteller citiren konnte. Das
war denn nicht ohne Nutzen, sondern diente dazu, auf die Vor-
züge der antiken Bildung aufmerksam zu machen uiid neue Ge-
danken zu erwecken. Aber zunächst waren diese Anregungen
doch völlig vereinzelt; man dachte nicht daran, die Vorzeit 1m
Ganzen zu studiren, in ihren Geist einzudringen, sich ihrer
Verschiedenheit und Verwandtschaft bewusst zu werdennnd so
eine fruchtbare Anwendung vorzubereiten. Man las die alten