Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Die Spätzeit des Mittelalters bis zur Blüthe der Eyck'schen Schule (Bd. 6 = [2], Bd. 4)

Verhältniss 
Natur. 
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genden Füsse fallen, lassen nur schwache Andeutungen des 
Knochenbaues erkennen, mit dessen Festigkeit jene Biegungen 
schwer zu vereinigen sind. Die Arme sind meistens zu kurz, die 
Hände lang und von absichtlicher Zierlichkeit, die Gesichter re- 
gelmässige Ovale mit kleinem Munde, feiner Nase, bald grossen 
runden, bald geschlitzten halbgesehlossenen Augen, deren äussere 
XVinkel oft tiefer liegen wie die inneren. Der Ausdruck umfasst 
nur eine kleine Zahl verschiedener Stimmungen und Empfindun- 
gen, und ist bald übertrieben, bald schwach und unbestimmt, 
mehr conventionell als Wahr und mehr durch die Bewegungen 
des Körpers als durch die Mienen des Gesichts gegeben. Die 
Haltung ist oft befangen und steif, die Linien sind, besonders bei 
der Darstellung leidenschaftlicher Gefühle, bald hart in scharfen 
Ecken gebrochen, bald weichlich gebogen. 
Der Fortschritt der jetzigen gegen die frühere rein architek- 
tonische Kunst ist daher keinesweges ein unbedingter; die ein- 
fache Reinheit und Festigkeit der Umrisse, die Schönheit der 
Linien und Verhältnisse, die ruhige Ilarmonie der Erscheinung, 
welche den Statueugruppen und Wandgemälden oft ungeachtet 
der mangelhaften Belebung einen hohen XVerth verlieh, ist nicht 
mehr völlig erhalten, während doch das Naturalistische noch 
nicht so weit ausgebildet ist, um ein modernes Auge zu befrie- 
digen. Dazu kommt noch eine sehr viel grössere Ungleichheit 
der Arbeiten, welche mit der veränderten Art des Betriebes zu- 
sammenhäilgt. So lange die darstellende Kunst in den Klöstern, 
den Sitzen der Gelehrsamkeit, betrieben wurde, standen alle 
Künste unter sich und mit den höchsten geistigen Anschauungen 
der Zeit im innigsten Verkehre; auch in der vorigen Epoche, als 
sie schon in die Hände zünftiger Laien übergegangen waren, 
hatten sie doch ihre Stätte in den Bauhütten der Kathedralen oder 
grosser Stifter, wo die begabtesten Meister zusammentrafen und 
'l'heilnahme und Rath von den begabtesten und für die Kunst 
empfäuglichsten Geistlichen erhielten. Dies alles hörte jetzt auf; 
das ausgebildete Zunftwesen lähmte den Verkehr der Meister 
mit den gelehrten Vertretern der Kirche und trennte die verschie- 
denen Kunstzweige. Können wir selbst an der Architektur wahr- 
nehmen, wie jeder Bauhandwerker für sich und ohne genügende 
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