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Plastik
und
Malerei.
und der Parallelismus der Details. Man kann darüber in Zweifel
sein, ob der architektonische Verticalismns auch die bildnerischen
Gestalten ergriffen oder ob das moralisch-ästhetische Gefühl auch
auf die bauliche Form eingewirkt hat, gewiss ist aber, dass die
einzelnen Künste noch incht die Selbstständigkeit haben, wie in
der neueren Zeit. Sie empfangen noch alle gemeinschaftlich den
Einfluss des ganzen Zeitgeistes, nur dass derselbe wie früher der
Architektur, so jetzt den darstellenden Künsten günstiger ist,
dass er jetzt jene über ihre Gränzen hinaus und durch das TVu-
chern plastischer und malerischer Motive ihrem Verderben ent-
gegen führt, wie er früher diese in den architektonischen Gränzen
beschlossen hielt. Auch von dieser Beschränkung blieb noch ein
Ueberrest bestehen; die darstellende Kunst fühlte sich noch nicht
stark genug, den Schutz und die Leitung der Architektur zu ent-
behren; sie giebt ihre Gestalten nicht leicht ohne architektonische
Einrahmung und sucht die natürliche Bildung geometrischen
Formenzu nähern, die des Gesichts dem Oval, die des Körpers
geraden, gebrochenen oder geschweiften Linien. Sie kannte noch
keine andere Regel als die architektonische. Von wirklichen
Naturstudien, selbst von objectiver Beobachtung ist noch überall
keine Spur, Auge und Gefühl sind wohl empfänglicher für die
natürliche Erscheinung, aber mehr im poetischen als im bildneri_
sehen Sinne, mehr für moralische, und zwar naive und annluthige
Aeusserungen, als für die Körperbildung an sich. Die Künstler
zeichnen ihre Gestalten nach überlieferten Regeln und Vorbildern,
sie bestreben sich zwar, sie immer mehr zu beleben, aber dies
geschieht nach einem unsicheren Instincte oder doch nur nach
flüchtigen Wahrnehmungen. Das Traditionelle und Phantasti-
sche ist noch immer vorherrschend, das Charakteristische fast
gar nicht, das Psychologische sehr wenig entwickelt. Die Ge-
stalten haben durchweg eine Familienähnlichkeit, Welche der na-
türlichen Mannigfaltigkeit nicht entspricht und selbst den feine-
ren [Tnterschieden der Altersstufen und Geschlechter nicht ge-
recht wird. Der Typus der Körper ist übermässig schlank, mit
schmaler Taille und Weicher Biegung über den Hüften, der Kopf
meist gross, die Gewänder, deren dichte Falten in langen ge-
schwimgenen Linien bis auf die nur mit den Spitzen hervorra-