Günstige
Umstände.
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in den VVirkungeil der Kunst einen Antrieb sie zu befördern, den
Bürgern trat sie durch den städtischen Betrieb näher und ihre
Genossenschaften liebten sie zu beschäftigen, bei den Rittern ge-
hörte sie zum standesgemässen Luxus, und die Fürsten schmück-
ten nicht nur ihre Kapellen und klösterlichen Stiftungen mit
höchster künstlerischer Pracht, sondern sammelten schon in ihren
Schatzkammern neben anderen Kleinodien auch Kunstwerke und
hielten wohl gar einen Maler unter ihrem Hofgesinde.
Dieser gesteigerten Nachfrage kam dann auch die Kunst,
wenn ich so sagen darf, mit ihrem Angebot entgegen; gerade
jetzt war sie zu diesem Dienste reif geworden. Die Architektur
hatte die in ihr enthaltenen plastischen und malerischen Elemente
so sehr genährt, dass sie sie nicht mehr in ihrem Sehosse bergen
konnte; das üppig wuchernde Ornament löste sich von dem ei-
gentlich Baulichen, liess diesem nur die nackte Construction und
die Raumverhältnisse übrig und gestaltete sich zu selbstständigen
decorativen Werken, welche dann nothwendig ihre geistige
Leere durch die Ausbildung bedeutsamen Bildwerks füllen muss-
ten. Es ist wieder ein Beweis der wunderbaren inneren Einheit
des gesammteil geistigen Lebens, dass die Kunst vermöge ihres
eigenen Entwickelungsgesetzes den Anforderungen entsprach,
welche aus den sittlich-religiösen Bedürfnissen der Zeit er-
wuchsen.
Zu einer völligen Emancipation der Plastik und Malerei von
der Architektur kam es indessen noch keinesweges; das einigende
Band, welches alle bildenden Künste zusammenhielt, wurde mn'
erweitert, nicht zerrissen. Es ist vielmehr merkwürdig, wie nahe
sie noch stehen und mit einander Schritt halten. Wenn man an
Statuen und auf Bildern die Gestalten wie von übermiissigem
Wachsthume emporgereckt, in Weicher Körperbiegung geneigt,
mit langen, weichgeschivungenen Gewandfalten bedeckt sieht,
glaubt man den unmittelbaren Einfluss moralischer Motive, der
conventionellen Sitte, hötischer Zierliehkeit und wahren Gefühls
oder angenommener Sentimentalität zu erkennen. Blickt man
dann aber auf die Architektur, so findet man ganz dieselben
Formgedanlaen; auch hier das überschlanke Aufstreben und
weiche Biegen, die Vorliebe für geschweifte Linien, die Häufung
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