Preussen.
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Ideen und bedienten sich auch wohl eigener Baumeister. Nicht
alle Kirchentolgten daher gleich anfangs dem Vorbilde jener
Schlosskirchen, einige wurden mit niedrigen Seitenschitfen,
andere mit polygonem Chorschlusse angelegt, und auch als all-
mälig jener Typus immer mehr herrschend wurde, erhielten sich
doch noch Reminiscenzen der älteren Form. Unter den wenigen
Kirchen mit niedrigen Seitenschiffen möchte St. Jacobi in der Neu-
stadt Thorn die älteste sein, da eine in Formsteinen gebildete
Inschrift das Jahr 1309 als Gründungsjahr angiebt. Das Lang-
haus im schlichtesten frühgolhischen Style wird aus dieser Zeit
stammen, die breiten mit schwachen Diensten besetzten Pfeiler,
ihre quadrate Stellung, die Paarung der Fenster in den Seiten-
schiflen und die eigcnthümliche Ueberwölbung derselben mit drei
dreieckigen Feldern haben eine unverkennbare Aehnlichkeit mit
den Breslauer Kirchen und lassen einen Einfluss von dorther ver-
muthen. Der Chor, einschifüg, aber von eleganten Formen,
durch hohe, dreitheilige Maasswerkfenster von reicher Bildung
beleuchtet, mit Fächergewölben bedeckt, ist gewiss später, unge-
achtet jener Inschrift, scheint aber ebenfalls noch das Werk eines
fremden Meisters. Die Seitenwände des Chors sind nämlich von
Strebebögen gestützt, Welche von starken Pfeilern ausgehend,
über anstossende niedere Baulichkeiten geleitet das einzige Bei-
spiel eines so vollständigen Strebesystems in Preussen geben,
und die Schlusswand, obgleich rechtwinkelig und mit ihrem ho-
hen und schlanken, durch aufsteigende Fialen getheilten und reich
verzierten Giebel dem Aeusseren den schönsten Schmuck verlei-
hend, enthält gewissermassen eine Protestation gegen diese land-
übliche Form zu Gunsten des Polygonsehlusses. Denn sie hat
drei Fenster und vier Strebepfeiler, als 0b sie durch Zusammen-
setzung von drei Polygonseiten entstanden wäre, und im Inneren
entspricht die Wölbung einer solchen Polygonanlage. Dieselbe
Anordnung eines polygonen Gewölbschlusses bei rechtwinkeliger
Schlusswaild findet sich noch ein Mal, nämlich in der Schloss-
kapelle zu Lochstaedt, wirkliche Polygonschliisse dagegen kom-
men nur an einigen Stadtkirchen, z. B. zu Brauusberg vor und
auch, jedoch unter besonderen unten noch zu erwähnenden Um-
ständen an der hochmeisterlichen Kapelle zu Marienburg.
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