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Deutsche
Gothik.
und völliger Vernichtung der heidnischen Eingebornen das Land
beherrschte und mit gleichmässigen Einrichtungen verwaltete.
Die herbeigerufenen Einwanderer kamen meist aus Wesphalen,
den Niederlanden, dem nördlichen Deutschland; sie brachten da-
her den gemässigten, ruhigen, einfachen Sinn des niedersächsi-
schen Stammes mit , fanden aber auch Verhältnisse vor, welche
die weitere Ausbildung dieser Sinnesweise vorzugsweise beför-
derten. In keinem andern Lande des christlichen Europas bestand
ein so wohlgeordneter, gesetzlicher Zustand; zwar beruheten
auch hier, wie in den anderen Ländern, alle Rechte auf Lehns-
briefen und Privilegien, aber diese waren doch meistens nach
denselben Grundsätzen verfasst, nicht wie in den älteren Gegen-
den aus verjährten Zuständen bunt und mannigfaltig gewachsen.
Und überdies war die Verwaltung des Ordens in jeder Beziehung
eine so geregelte und gleichmässige, dass sie sich mehr wie die
irgend eines andern Landes modernen Staatsbegritfen näherte.
Diese abweichenden Zustände übten dann auch auf die Bau-
kunst
einen
bemerkenswerthen
Einfluss
8115.
Zunächst musste
sie gleichförmiger werden, denn in Preussen gingen fast alle
grossen Bauten vom Orden aus oder Wurden von Baumeistern
geleitet, die ihm eng angehörten oder unter ihm ihre Schule ge-
macht hattentk). Dazu kam noch ein entscheidender Umstand.
In den Ordenslanden nahmen nicht die Kirchen, sondern die Welt-
lichen Bauten die erste Stelle ein. Bei der Besitznahme des Lan-
des war vor allen Dingen die Anlage fester Schlösser erforder-
lich, in welchen die Befehlshaber der grösseren und kleineren
Districte nebst ihrer Mannschaft von Rittern und Knechten ihren
Sitz hatten, von wo aus das Land beherrscht und geschützt
wurde; au diesen Bauten bildete sich daher die Schule des Ordens
aus, hier nahm sie ihre Grundsätze und Gewohnheiten an. Ein-
fache, starke, hohe Mauern, die den Angriff und das Ersteigen
4'] Die von Dr. Scholten publicirten Auszüge aus den Baurechnungen der
St. Victorskirche zu Xanten S. 4 6 ergeben, dass ein Baumeister, Jacob von
Mainz, im Jahre 1360 von Xanten nach Preussen ging und erst im folgenden
Jahre zurückkehrte. Man berief also in einzelnen Fällen fremde Meister. In
der Regel aber werden (wie A. Hagen, der Dom zu Königsberg, S. 25 nach-
weist) die Baumeister Ordensmitglieder gewesen sein.