Kölner
Domfagade.
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fesseln, die es durch ihre lilenge, durch ihren unvermeidlichen
Parallelismus nur ermüden. Und Während diese klassische Re-
gelmässigkeit unser Gefühl gegen alle Härten doppelt empfind-
lich macht, fehlen solche denn doch keinesweges. Die Stellung
der Portale, besonders der an den Seitenschiffen, von denen das
eine bereits in aller Zeit vollendet ist, die Enge ihrer Oefnung
im Verhältniss zu ihrer Höhe und zu der Breite ihrer Seiten-
wände, ihre Gleichstellung mit dem daneben gelegenen grösseren
Fenster sind wahrhaft anstössig und werden noch mehr auffallen,
wenn der gewaltige Oberbau vollendet ist. Es ist ein Missver-
hältniss zivischen der Grösse der Fenster und der Portale ganz
ähnlich dem der englischen Dome. Und wenn wir forschen, wie
ein so bedeutender Meister dazu gekommen, so finden wir, dass
es eben eine Folge des einseitig festgehaltenen Thurmgedankens
ist. Indem er bei einer fünfschifligen Anlage die Dreitheilung
der französischen Faoaden beibehalten, je zwei Seitenschilfe als
Grundlage eines Thurmes behandeln und diese Thürme nach den
Regeln verticaler Entwickelung von einer ihrer Höhe entspre-
chenden Basis pyramidalisch aufsteigen lassen wollte, wurde das
Mittelschiff überhaupt, wurden besonders die Portale so be-
schränkt, dass sie, ungeachtet ihrer gewaltigen Verhältnisse,
gedrückt und schwach erscheinen. Es hätte einer ganz anderen
Anlage, einer neuen Erfindung bedurft, um bei dieser breiteren
Anlage des Langhauses und bei der beabsichtigten grossen Höhe
eine würdige Gestaltung der Thürme zu erlangen; statt dessen
hat der Meister sich begnügt, die französische Portalbildung in
den durch die Consequenz seines Verticalismus ganz anders be-
stimmten Rahmen hineinzuzwvängen Auch diese Mängel sind
allerdings nicht von der Art, um den Genuss an der gewaltigen
Composition zu verkümmern oder den VVunsch ihrer wirklichen
Ausführung zu sclnvächen; sie würde eine der schönsten archi-
tektonischen Zierden Deutschlands werden. Denn welches Werk
und namentlich welche Facade gothischer Kirchen ist ohne
4') Das gesteigerte Lob ist ausser Boisseräe vorzüglich durch Kugler
(Deutsche Vierteljahrschrift 1842, Heft III, und kl. Sehr. II, 123), und nach
ihm durch Guhl (Denkmäler der Kunst, S. 92) aufrecht erhalten. Eine minder
günstige Ansicht begründet Rosenthal, Gesch. d. Bauk. S. 816.