Kölner
Domfagatle.
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noch in einzelnen mächtigen Bildungen verschlossen, in den
Strebepfeilern, in den Portalen, die von jenen beengt in den hohen
Spitzgiebelxl gleichsam ungeduldig emporschiessen, im zweiten
Stockwerk zwischen den hohen und schlanken Fenstern sich
üppig entfaltend, in unzähligen Stäben und Nischen, Spitzgiebeln
und Fialen hervorblühend, dann wo der Giebel das Mittelschiff"
schliesst und die Thürme sich von ihm lösen, wieder gesammel-
ter. statt der paarweise gestellten Fenster nur eines, und so den
Uebergang in das Achteck vorbereitend, das demnächst auch wie
die Blume aus der Knospe kräftig emporschiesst, um mit dem
lichten Helme zu schliessen. So ist denn das Verticalprincip voll-
ständigst durchgeführt, nicht im Uebermaass, sondern mit nö-
thiger Rücksicht auf horizontale Theilung, nicht in Uebertreibung
des Leichten, Luftigen, Gewagten, wie man sie dem Strasburger
YVerke vorwerfen könnte, nicht in Vveichlichen Curven, sondern
in wohlgeregelten reinen Linien, in gesetzlicher, geometrischer
Entwickelung. Gehen wir auf die feineren Details ein, sowohl
an den ausgeführten Theilen als auf der Zeichnung soweit sie
es gestattet, so ist alles musterhaft, mit seltener Vollendung und
Reinheit des Geschmacks, sorgsam ohne Aengstlicltkeit, aber
auch ohne Unruhe, und frei von falscher Koketterie des Meis-
sels. Mit einem Worte die ganze Ausführung ist klassisch.
Aber freilich auch nicht mehr als das. Die Lebensfülle, die Un-
mittelbarkeit der Erfindung, welche den Schöpfungen des früh-
gotltischen Styls so grossen Reiz yerleiht, tritt uns hier tiicht ent-
gegen; das Ganze ist doch mehr die verständige, consequeilte
Durchfiiltrung eines gegebenen poetischen Gedankens, als eigene,
freie Poesie. Der Verticalismus tritt gleich vom Anfang an zu
selbstbewusst, zu fertig hervor, er geht gebahnte VVege; es fehlt
ihm der Gegensatz, ohne dessen {Ieberwindung kein Leben ist,
wir vermissen die kräftigen individuellen Einzelgestalteu, die
doch eben so sehr zum Wesen des gothischen Styles gehören.
An Einzelheiten an sich ist freilich kein Mangel, aber alle jene
unzähligen Nischen, Stäbe, Fialen, die sich auf der Fläche bilden
oder von ihr lösen, sind wenn auch verschieden, doch nur Er-
zeugnisse desselben Princips ohne eigene, bleibende Bedeutung,
nur flüchtige, vorübergehende Aeusserungen, die das Auge nicht