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Deutsche
Gothik.
Verhältnisse Deutschlands und durch die Eigenthümlichkeiten
der Landestheile bedingt war, noch zu steigern, wie wir dies bei
der geographischen Uebersicht der Monumente, die wir jetzt be-
ginnen, näher bemerken werden.
Am Rhein müssen wir mehrere, bereits in der vorigen
Epoche erwähnte Bauten ins Auge fassen, besonders die grossen
Dome von Strasburg und Köln, deren Meister wir damals als die
treuesten Schüler und als die Apostel der französischen Gothik
kennen lernten und an denen wir jetzt eine leise und noch unbe-
wusste Reaction des deutschen Geistes wahrnehmen. Am Stras-
burger Münster war, Wie wir gesehen haben, im Jahre 1275 die
Ueberwölbung des Kirchenschiffes vollendet, im Jahre 1277
wurde mit neuer Grundsteinlegung die Faeade, Erwin von Stein-
bachs berühmtes Werk, begonnen, das er als Obermeister,
Gubernator fabricae, wie er auf seinem Grabsteine heisst, bis zu
seinem Tode fortführte. Bis 1290 war der Bau mit den gewöhn-
lichen Mitteln durch Ablassbriefe und Beisteuern der Geistlich-
keit, unter der Aufsicht des Domkapitels, ziemlich langsam be_
trieben. Jetzt aber übernahm die städtische Behörde die Auf.
sieht, und es wurde nun Ehrensache der Stadt, zur Vollendung
des kunstreichen Werkes nach Kräften beizusteuern. Es wuchs
daher verhältnissmässig rasch und war bei Erwins Tode (1318)
bis zum Beginn der Thürme vollendet, so dass die eigentliche
Fagade ihm ganz angehört. Die Anordnung der Haupttheile, die
Stellung und Einrahmung der Portale, die Sondernng der Stock-
werke durch Gallerien, die bedeutsame Fensterrose erinnern an
die Fagaden der französischen Kathedralen, etwa an die von
Rheims. Die Ausführung aber hat einen anderen Charakter.
Während dort die horizontalen Abtheihnlgen noch sehr stark
betont sind, die Strebepfeiler sich in derben Absätzen zurück-
ziehen und zu kräftigen Fialen aufschiesseil, die Portale mit ihren
gewaltigen Spitzgiebeln mächtig vortreten, während also alle
Theile so derb gehalten sind, dass sie sich selbstständig geltend
machen und dem Ganzen eine etwas schwere Haltung geben,
hat der deutsche Meister den Gedanken der Einheit, des leichten