Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Die Spätzeit des Mittelalters bis zur Blüthe der Eyck'schen Schule (Bd. 6 = [2], Bd. 4)

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Deutsche 
Gothik. 
anzulegen, dann aber, da gleichzeitig in Folge der Verbreitung 
des Frohnleichnamsfestes die Hostienverehrnng bedeutend wuchs, 
ein eigenes kleines Gebäude in Altarnähe zu errichten, das nun 
auf höchsten, so heiligen Inhaltes würdigen Schmuck Anspruch 
hatte. Das war denn eine günstige Gelegenheit für unsere Stein- 
metzen , ihre Kunst zu zeigen und die Regeln des Thurmbaues, 
deren Anwendung im Grossen ihnen so selten gegönnt war, im 
Kleinen zu erproben. Sie hatten dabei den Vortheil, dass ihr 
Werk hier nicht in unzugänglicher Höhe, sondern unmittelbar 
vom Boden der Kirche vor den Augen der Gemeinde aufstieg 
und mit seinen kühnen Verbindungen scheinbar gebrechlicher 
dünner Steinrippen ihre staunende Verwunderung stärker in An- 
spruch nahm. Im vierzehnten Jahrhundert hielt man auch hierin 
noch ein gewisses Maass, im folgenden wurden. aber „Meistei-_ 
Stücke" dieser Art so sehr eine Liebhaberei und ein Gegenstand 
des Wetteifers, dass man sie zu wahren Kolossen von Zierformen 
bis auf 50, 60,ja wie im Münster zu Ulm bis auf 90 Fuss steigerte. 
Ich glaube nicht zu irren, wenn ich diese Neigung zum 
Theil dem Gebrauche der Irlallenkirchen zuschreibe, welche in 
ihren baulichen Theilen keine günstige Stelle zur Anbringung 
nahen Schrnuckes darboten und doch mit ihren hohen leeren 
Räumen das Bedürfniss einer schmückenden Mannigfaltigkeit er- 
weckten. Daher brachte man ähnliche thurmartige Zierden auch 
an anderen Stellen, auf 'l'aufbecken, Kanzeldecken, auch, wo 
sich dergleichen noch erhalten hatten, auf den Ciborien der Altäre 
anti). Allein diese in den alten Kirchen gewöhnliche Einschlies- 
sung und Ueberdachung des Altars sagte im Ganzen dem jetzi- 
gen Geschmacke wenig zu  der besonders in Deutschland immer 
mehr darauf ausging, die kirchlichen Schranken aufzuheben, alles 
weit, licht, öffentlich zu machen. Wenigstens an den Hauptal- 
tären duldete oder errichtete man solche Ciborien nicht mehrifg). 
1'] So in Wer! in Wesßphalen, Lübke S. 307. Vergl. Laib und Schwarz, 
Studien zur Geschichte des christlichen Altars, Stuttgart 185,7, Taf. XIII. 
w?) Alle in Deutschland noch vorhandenen Cihorien beßnden sich an Sei_ 
tenaltären; so in St. Elisabeth in Marburg, im Regensburger: Dom, in Wer], in 
Maulbronn und in Mühlhausen in Schwaben. Laib und Schwarz a. a. O. Taf. 
X, T, XII, XIII.
	        
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